Auschwitz wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Synonym der Massenvernichtung. Doch die nationalsozialistischen Massenverbrechen fanden noch an vielen weiteren Orten statt, die jedoch geographisch und auch erinnerungskulturell in Deutschland eher unbekannt sind.
Die Fachtagung "Im Schatten von Auschwitz … Planen von Studienfahrten zu fast vergessenen Orten nationalsozialistischer Massenverbrechen" versuchte, genau auf diese Orte näher einzugehen und sie ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Wie kann an diese Orte erinnert werden und welche Möglichkeiten für Studienfahrten zu den fast vergessenen Orten gibt es? Diese Fragen bildeten den Kern der Konferenz in Berlin, an der auch Jeanne Flaum und Markus Roth von der AHL teilnahmen. Ohne das Bewusstsein für das, was war, kann das, was ist, nicht verstanden werden. Eine transnationale Perspektive sollte demnach auf das pädagogische Lernen an Orten auch jenseits von Auschwitz eingenommen werden.
Susanne Heim (Institut für Zeitgeschichte, Berlin) gab in einem Einführungsvortrag einen Forschungsüberblick zum Thema "Die nationalsozialistischen Massenmorde in Osteuropa". Sie skizzierte die Entwicklung der Germanisierungspolitik und beschrieb den Generalplan Ost der Nationalsozialisten. Hierbei ging sie auf die generelle Wahrnehmung des Ostens als barbarisch, nutzlos und kulturlos ein. Im Rahmen der Lebensraum-Ideologie kam es zu Vertreibungs- und Umsiedlungsaktionen. Nach Kriegsbeginn verschärften sich die Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung und es kam zunehmend zu Massenerschießungen. So wurden in Babyn Jar in drei Tagen ca. 33.000 Jüdinnen und Juden ermordet. Das Morden wurde schrittweise ausgeweitet. Die Wannseekonferenz im Januar 1942 diente einer Koordination und der Regelung von Einzelfragen. Hierbei ging es bereits nicht mehr darum, den Holocaust zu beschließen – der Massenmord wurde in Teilen schon vollzogen –, sondern nur noch um die Frage, wie er organisiert werden sollte.
Anschließend gab Jörg Ganzenmüller von der Universität Jena einen schlaglichtartigen Überblick über "Erinnerung und Gedenken in Osteuropa". Er machte darauf aufmerksam, dass die Orte der Massenverbrechen heute in der Regel gar nichts von dem damaligen Geschehen erzählen, dass vielmehr Vorwissen notwendig ist, um sie zu verstehen. Zudem machte er auf Unterschiede in der historischen Perspektive aufmerksam, die ebenso wie die jeweils recht unterschiedlichen gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen erheblichen Einfluss auf das Gedenken hätten. Von zentraler Bedeutung sei es deshalb auch, die Gedenkstätten im Kontext ihrer jeweiligen Entstehung zu betrachten.
Am Nachmittag haben sich den Teilnehmerinnen und Teilnehmer in parallelen Präsentationen unterschiedliche Gedenkorte wie Gedenkstätten und Museen an den Orten der ehemaligen Vernichtungslager sowie an Orten von Massentötungen wie in Babyn Jar und Maly Trostinez vorgestellt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Gedenkorte skizzierten kurz den historischen Hintergrund des Orts und präsentierten dann vor allem Konzeption und Praxis des Gedenkens und der Bildungsarbeit vor Ort. Eine große Herausforderung entstehe vor allem dadurch, dass es kaum noch sichtbare Spuren an einigen der Orte gäbe, da die Nationalsozialisten die Lager noch vor dem Ende des Krieges selbst liquidiert haben. In den anschließenden Diskussionen kam mitunter der beschämende Sachverhalt zur Sprache, dass die Bundesrepublik überhaupt nicht an den Kosten beteiligt.
Den ersten Abend schloss ein sogenannter Projektmarkt ab. An verschiedenen Ständen haben sich Stiftungen, Bildungsträger und Initiativen wie das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das Bildungswerk Stanislaw Hantz und viele mehr vorgestellt. Hier gab es viel Raum für informelle Gespräche und eine Vernetzung untereinander.
Der zweite Konferenztag bot in verschiedenen, parallel laufenden Arbeitsgruppen die Möglichkeit einer thematischen Vertiefung. Dr. Steffen Hänschen vom Bildungswerk Stanislaw Hantz zum Beispiel leitete eine Arbeitsgruppe zum Thema "Auf den Spuren des Holocausts in Lemberg", in der neben der wechselvollen Geschichte der Stadt die Konfliktlinien heutigen Erinnerns und praktische Erfahrungen und Tipps im Vordergrund standen. In einer weiteren Arbeitsgruppe informierten die Historiker Angelika Benz und Grzegorz Rossoliński-Liebe über die Tatbeteiligung einheimischer Helfer, namentlich über die sogenannten Trawniki-Männer sowie über ukrainische Nationalisten und Faschisten. Pädagogische Aspekte des Themas und seiner Vermittlung kamen hier nicht zur Sprache.
Des Weiteren gab es eine Arbeitsgruppe, die sich mit "Studienreisen für bildungsbenachteiligte Jugendliche" beschäftigte. Elke Gryglewski und Sabeth Schmidthals präsentierten ihr Projekt "Meine Geschichte – deine Geschichte", in dem es darum ging, auch Schülerinnen und Schüler, die keinen Zugang zu der Geschichte des Nationalsozialismus hatten, über ihre individuellen Geschichten 'abzuholen'. Hierbei wurde nach dem Motto gearbeitet, dass der alltagsgeschichtliche Ansatz – die eigene Geschichte der Schülerinnen und Schüler – heute von zentraler Bedeutung sei, um Geschichte erfahrbar zu machen. Bei diesem Projekt gab es dann auch Studienfahrten nach Israel und Palästina.
Michael Sturm von der Villa ten Hompel führte in einem weiteren Workshop die Debatte, ob Gedenkstätten ein geeigneter Lernort für die Rechtsextremismusprävention seien. Hierbei wurde klar, dass Gedenkstätten in bestimmtem Maße moralisch erhöhte Orte darstellen. Eine situative Betroffenheit werde nicht unbedingt auf die eigene Lebensrealiät übertragen. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus sollte deshalb neben der Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus auch vor allem in der Gegenwart ansetzen.
Abschließend stellte Peter Junge-Wentrup vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) aus Dortmund Finanzierungsmöglichkeiten von Gedenkstättenfahrten und die Antragsmodalitäten. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf die Arbeit des IBB und der Bethe-Stiftung und damit ausschließlich auf Fahrten mit Schülerinnen und Schülern sowie Jugendgruppen.