„Ich konnte die Nazis damals nicht in der Gegenwart bekämpfen. Also entschloss ich mich, sie in der Zukunft zu bekämpfen. Ich wollte kommende Generationen eine Waffe gegen jedes Wiederaufleben solchen Unrechts geben“, erklärte Friedrich Kellner (1885–1970) im Jahr 1968 zu seinen Tagebüchern, die er zwischen 1939 und 1945 im Geheimen schrieb. Der ehemalige Laubacher Justizinspektor wollte der Nachwelt ein Zeugnis ablegen von der Stimmung seiner Mitmenschen, ihrer Leichtgläubigkeit, der Propaganda und den Massenverbrechen des Regimes.
Diese einzigartige Quelle stand nun im Mittelpunkt des Workshops „Die Tagebücher des Friedrich Kellner – Alltag und Widerstand im Laubacher Nationalsozialismus“, an dem am 6. November 2024 20 Schüler:innen der elften Klasse des Laubach-Kollegs teilnahmen. In den Räumen des ehemaligen Amtsgerichts Laubach, in dem Kellner von 1933 bis 1947 selbst als Geschäftsleiter tätig war, und im Sitzungssaal des Rathauses beschäftigte sich die Gruppe mit verschiedenen Aspekten und Formen des Widerstands im Nationalsozialismus. Der Workshop wurde von Prof. Dr. Sascha Feuchert und Dr. Anika Binsch erarbeitet und in Kooperation mit Christoph Koch, Schulpfarrer und Schulseelsorger des Oberstufengymnasiums, durchgeführt.
Nachdem im ersten Teil des Studiennachmittags untersucht worden war, was der Begriff „Widerstand“ eigentlich bedeutet, wurde im zweiten Abschnitt anhand eines Tagebuchauszugs der Frage nachgegangen, was der Einzelne im nationalsozialistischen Deutschland über die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik des Regimes wissen konnte. Kellners Tagebücher, die an der AHL ediert und 2011 in zwei Bänden unter dem Titel „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne“ im Wallstein Verlag herausgegeben wurden, gelten als Beispiel dafür, dass es durchaus möglich war, ein umfangreiches Wissen über die nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen zu erlangen. Dieses war entscheidend für den Widerstand, den Kellner in Form seiner Aufzeichnungen leistete: Er schnitt Presseartikel der NS-Zeitungen aus, klebte sie ein und versah sie mit kritischen Kommentaren. Sein „Collage-Tagebuch“ legt damit offen, was aufmerksame Beobachter damals wissen konnten, wenn sie etwas wissen wollten.
Dass Widerstand unter den Bedingungen einer Diktatur nur unter Lebensgefahr möglich ist und es deshalb so wichtig ist, sich bereits im Vorfeld für den Erhalt der Demokratie einzusetzen, wurde im letzten Abschnitt erörtert. Diese Einsicht verbanden die Schüler:innen am Ende des Workshops mit ihrer eigenen Familiengeschichte, indem sie anhand von Fundstücken, die sie bei einer dem Workshop vorausgegangenen Recherche ermittelt hatten, die Spuren von Krieg und Leid, aber auch biografische Lücken und das Schweigen in ihren Familien beleuchteten.
Auch das Laubach-Kolleg berichtet auf seiner Website über den Workshop. Zum Beitrag gelangen Sie hier. Am 16. November ist zudem ein Artikel über den Studiennachmittag unter dem Titel „Bedrückende Einträge“ im Gießener Anzeiger erschienen, den Sie hier aufrufen können.