Zur Gedenkwoche der ehemaligen KZ-Häftlinge
von Gustav Paech
Millionen – Mann und Weib und Kind –
Millionen Brüder, seht, sie sind
entstiegen ihren Todesschächten
um klagend mit der Welt zu rechten,
um sühnefordernd zu verdammen
was ihre lichten Lebensflammen
so grausig-weh ersterben ließ.
Schweigen stehe um uns … Schweigen.
Laßt die Häupter still uns neigen.
Neig’ sich Mann und Weib und Kind,
denn du und ich wir alle sind
beruf’ne Zeugen ihrer Klage. –
Schweigen stehe um uns … Schweigen.
Seht: Millionen Brüder zeigen
schmerzverzehrt ihr Angesicht.
Ketten klirren … Und es bricht
weher Schrei an unser Ohr,
Todesschrei, wie nie zuvor
gellend ihn die Welt vernahm. –
Schweigen stehe um uns … Schweigen.
Belsen …! Auschwitz …! Todesreigen
hirnverbrannter Kreaturen!
Barbarei und Mord die Spuren,
die ihr Wahnsinn hinterließ …
Schweigen stehe ums uns … Schweigen.
Seht: Millionen Opfer steigen
in ihr Schattenreich zurück.
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Hebt die Häupter. Brecht das Schweigen.
Zerstoben der Gespensterreigen:
feiger Henker und Despoten …
Dem Gedenken aller Toten
aber sei Mahnruf es und Kampfesschrei:
„Schmach und Tod der Tyrannei,
die all dieses Leid gebar!“
Hebt die Häupter. Brecht das Schweigen.
Laßt hinfort zu Grabe steigen
allen Bruderzwist und Streit.
Hebt die Herzen. Seid bereit!
Reicht, ihr Brüder aller Stände,
reicht, auf daß die Not sich wende,
reicht euch frei die Hand!
Hebt die Häupter. Brecht das Schweigen.
Laßt es aller Welt uns zeigen,
zeig’ es Mann und Weib und Kind,
daß wir guten Willens sind,
daß wir wahrhaft sind bereit,
einer neuen, bess’ren Zeit
– frei von Ketten, Schmach und Pein –
treulich uns’re Kraft zu weih’n.
aus: Neue Hamburger Presse, Mittwoch, den 21. Oktober 1945, S. 2.