Der Sozialdemokrat Friedrich Kellner begegnete dem NS-Regime von Anfang an mit Ablehnung und Abscheu. Seit 1933 war er Justizinspektor im oberhessischen Laubach und verfolgte die Politik der neuen Machthaber intensiv und mit großem Misstrauen. Seit Kriegsbeginn führte er regelmäßig Tagebuch und hielt zunächst vor allem die Haltung und Reaktionen seiner Mitbürger fest. Mehr und mehr konzentrierte er sich darauf, die Propaganda zu dokumentieren und kritisch zu hinterfragen.
Friedrich Kellner zeigt in seinen Tagebüchern, wie Zeitgenossen allein durch eine wachsame Lektüre der offiziellen Propaganda und eine kritische Sichtung der offiziellen Rhetorik den wahren Charakter der Diktatur erkennen konnten. Er las aufmerksam die Presse, klebte zahlreiche Zeitungsausschnitte in sein Tagebuch und kommentierte sie dort in einer einfachen und direkten Sprache. Die Dokumentation der Wirkung der doch meist leicht durchschaubaren Propaganda auf seine Mitbürger war Kellner ein besonderes Anliegen. Überdies zeigen auch Kellners Tagebücher, wie viel man bereits damals von den zentralen Massenverbrechen des Regimes wissen konnte. Kellner verstand die versteckten Andeutungen in der Presse, setzte sie in Verbindung zu anderen Informationen und den lokalen Ereignissen und kam so zu weitreichenden Erkenntnissen.
Mit der Edition wird der Öffentlichkeit eine Quelle zugänglich gemacht, die für die Erforschung und das Verständnis der Geschichte der NS-Diktatur und ihrer Volksgemeinschafts-Ideologie wichtig ist. Die Kenntnisse über den NS-Staat und seine Propaganda, ihre lokalen Wirkungen und Ausformungen sowie über Grenzen und Möglichkeiten regimekritischen Verhaltens werden durch sie vertieft und differenziert.
Friedrich Kellner: "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. (2 Bde.) Herausgegeben von Sascha Feuchert, Robert Martin Scott Kellner, Erwin Leibfried, Jörg Riecke und Markus Roth. Unter Mitarbeit von Elisabeth Turvold und Diana Nusko sowie Nassrin Sadeghi und Birgit M. Körner. Göttingen: Wallstein 2011 (mittlerweile 7. Auflage).