am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

′Es geht im Roman auch um Hoffnung und Leben′: Bestsellerautor David Safier stellte im Gespräch mit Prof. Dr. Sascha Feuchert und Prof. Dr. Andrea Löw seinen Roman '28 Tage lang' vor

12.05.2023

11. Mai 2023

Anlässlich des 80. Jahrestags des Warschauer Gettoaufstands hatten die Arbeitsstelle Holocaustliteratur, das Fritz Bauer Institut Frankfurt, das Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München sowie das Literarische Zentrum Gießen in Kooperation mit dem Kulturamt Gießen am 11. Mai zu einer Lesung aus dem Roman „28 Tage lang“ (2014) und einem Gespräch zwischen dem Bestsellerautor David Safier sowie Prof. Dr. Sascha Feuchert und Prof. Dr. Andrea Löw, stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München, über den Roman sowie das Ringelblum-Archiv im Warschauer Getto, das u. a. als Quellengrundlage für den Roman diente, eingeladen. Im Geheimen sammelten der Historiker Emanuel Ringelblum und zahlreiche Mitarbeiter:innen Tausende ganz verschiedenartige Zeugnisse. Sie wollten ihre Geschichte und die vieler anderer für die Nachwelt dokumentieren und analysieren. Auch Safiers gerade neu erschienener Roman „Solange wir leben“, in dem er die Geschichte seiner Eltern fiktional erzählt, wurde vorgestellt. PD Dr. Tobias Freimüller, Fritz Bauer Institut Frankfurt, sprach zudem ein einleitendes Grußwort.

Etwa 140 Menschen waren gekommen, um der Lesung aus dem Roman, der sich an Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen richtet, und dem Gespräch zuzuhören sowie im anschließenden Publikumsgespräch ihre Fragen an David Safier zu richten. Thematisiert wurde unter anderem, was Fiktion leisten kann, in Ergänzung und neben den historischen Fakten, den Quellen und auch den Zeitzeugenberichten. Safier betonte, dass die Fiktion für ihn eine Möglichkeit bietet, emotionale Nähe zu den Ereignissen, aber vor allem zu den Menschen, die diese erlebt und durchlitten haben, herzustellen. Das könne nur die Fiktion leisten, denn wie eine reale Person gefühlt und empfunden habe, könne man in den allermeisten Fällen nicht sicher wissen, man könne nur den Versuch unternehmen, sich einzufühlen. „Das Fiktionale kann nur ein Brückenschlag sein“, betonte Safier dabei, „eine Annäherung“. Der Roman biete zudem die Möglichkeit, Themen wie Hoffnung, Leben und Liebe an einem Ort wie dem Getto auf eine eindrückliche Art und Weise zu erzählen. Aspekte, denen sich die Forschung erst sehr spät zugewandt hat, wie Andrea Löw betonte. Davon zu erzählen, dass es neben all dem Leid und Sterben auch Liebe und Hoffnung gegeben habe, gerade unter jungen Menschen, sei ihm ein wichtiges Anliegen gewesen, so erläuterte Safier. Denn die Empfindungen und Hoffnungen von Menschen seien auch über die Zeiten und Bedingungen hinweg sehr ähnlich, so seine Überzeugung, das wolle er mit seinem Roman und durch seine Protagonistin, der 16-jährigen Mira, aus deren Ich-Perspektive der Roman vom Widerstandskampf im Warschauer Getto im Jahr 1943 erzählt, vermitteln.

Während „28 Tage lang“ die eigene Familiengeschichte Safiers (die Großmutter väterlicherseits ist im Getto Lodz/Litzmannstadt umgekommen, der Großvater in Buchenwald) noch nicht direkt berührt, setzt sich sein im April erschienene Roman „Solange wir leben“ dagegen konkret mit der Lebens- und Leidensgeschichte der Eltern auseinander. Der Roman führt vom Wien des Jahres 1937 durch die Gefängnisse der Gestapo, nach Palästina, wo sein Vater Joschi u. a. als Barmann und Spion arbeitet und schließlich zur See fährt. Seine Mutter Waltraut wächst als Tochter eines Werftarbeiters in Bremen auf, sie erlebt die Kriegszeit, die Trümmerjahre und das Wirtschaftswunder. Als sie sich zum ersten Mal begegnen, ist Waltraut eine junge, alleinstehende Witwe, Joschi zwanzig Jahre älter als sie. Wenig spricht eigentlich dafür, dass die beiden sich ineinander verlieben und ein gemeinsames Leben wagen. Dennoch geschieht es so. Der Roman erzählt von diesem von steilen Höhenflügen und dramatischen Schicksalsschlägen geprägten gemeinsamen Leben. 
Erst jetzt, rund zehn Jahre nach der Entstehung des Romans „28 Tage lang“, sei er bereit gewesen, sich auch mit diesem „eigenen Schmerz“ auseinanderzusetzen. Auch hier sei die Fiktion die für ihn im Grunde einzige Möglichkeit einer Annäherung. Denn um die Familiengeschichte zu rekonstruieren, musste sich Safier auf die knappen Gespräche, die er mit seinen Eltern führte, auf Dokumente und Fotos, stützen, wie er auf die Frage von Sascha Feuchert nach dem Entstehungsprozess des Werks erläuterte. Aber das Wichtigste, die Gefühle der Protagonist:innen, habe er natürlich erfinden müssen, so erläuterte Safier. Es gebe ja keine Dokumente, die die Gefühle und Gedanken der Eltern enthielten. Abschließend betonte er im Publikumsgespräch, jeder Roman sei ein Aushandlungsprozess. Für ihn sei aber wichtig, dass er Leser:innen beider Romane eine Möglichkeit zur emotionalen Identifikation und Einfühlung biete. Damit ehre man auch die Opfer und Betroffenen. 

Sowohl der Gießener Anzeiger als auch die Gießener Allgemeine haben die Veranstaltung in Artikeln besprochen. Zum vollständigen Beitrag der Gießener Allgemeine von Marion Schwarzmann mit dem Titel „Liebe in Zeiten des Holocaust“ gelangen Sie hier. Die Besprechung von Felix Müller im Gießener Anzeiger finden Sie unter dem Titel „Großer Respekt vor real Erlebtem“ hier.


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