am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Studienfahrt nach Łódź 2025: Einblicke in das Vorbereitungsseminar an der AHL

20.05.2025

10. Mai 2025

Auch in diesem Jahr organisiert die AHL in Kooperation mit der Universität in Łódź eine Exkursion in die polnische Stadt Łódź. Die fünftägige Studienfahrt findet vom 24. bis 28. Mai 2025 im Rahmen eines deutsch-polnischen Seminars statt, welches von Prof. Sascha Feuchert (JLU Gießen) und Prof. Krystyna Radziszewska (Universität Łódź) durchgeführt wird.

Zum Auftakt trafen sich am 10. Mai die 18 Teilnehmenden des Seminars „Hunger, Zwangsarbeit, Tod: Das Getto Lodz/Litzmannstadt“ – darunter Lehramtsstudierende der Germanistik sowie Studierende des bundesweit einzigartigen Masterschwerpunkts „Holocaust- und Lagerliteratur“ – gemeinsam mit Sascha Feuchert und Felix Luckau (AHL) zu einem ganztägigen Vorbereitungstreffen. Die Gruppe wurde durch mehrere Gießener Polizeibeamte ergänzt, die ebenfalls bei der Exkursion vor Ort sein werden. Ihre Teilnahme erfolgt im Rahmen eines Kooperationsvorhabens der AHL mit dem Polizeipräsidium Mittelhessen unter der Leitung von Polizeipräsident Torsten Krückemeier, das im Sinne einer „Bildungsallianz für Demokratiesicherung“ verstetigt werden soll.

Der inhaltliche Fokus des Vorbereitungsseminars lag zunächst auf der historischen Entwicklung Łódźs von einer Provinzstadt zur Industriemetropole. Ein weiterer Schwerpunkt galt den vielfältigen Lebenswelten der jüdischen Bevölkerung vor, während und nach der Existenz des Gettos Lodz/Litzmannstadt, dem zweitgrößten und am längsten bestehenden jüdischen Getto im von den Nationalsozialisten besetzten Polen.

Besonderer Höhepunkt des Seminartags war das etwa zweistündige digitale Zeitzeugengespräch mit Dr. Leon Weintraub, der 1929 in Łódź geboren wurde. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, wurde er ab 1940 von den Nationalsozialisten gezwungen, mit seiner Familie im Getto Lodz/Litzmannstadt zu leben. Nach der Auflösung des Gettos im Jahr 1944 wurde er nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo er nur knapp durch eine riskante Flucht – er schloss sich unbemerkt einem Gefangenentransport an – dem Tod entkommen konnte. Es folgten weitere Aufenthalte in verschiedenen nationalsozialistischen Lagern, bis ihm schließlich auf einem der Transporte erneut die Flucht gelang. Nach dem Krieg nahm Weintraub ein Medizinstudium in Göttingen auf und wurde ein angesehener Gynäkologe und Geburtshelfer. Seit 1992 engagiert er sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Evamaria Loose-Weintraub aktiv gegen das Vergessen und tritt regelmäßig als Zeitzeuge auf. Seine Erinnerungen sind mittlerweile in polnischer, deutscher und englischer Sprache veröffentlicht; die deutsche Übersetzung erschien 2022 unter dem Titel „Versöhnung mit dem Bösen“ im Göttinger Wallstein Verlag.

Im weiteren Verlauf des Seminars widmete sich die Gruppe der Geschichte des Gettos Lodz/Litzmannstadt, in dem zeitweise über 160.000 Menschen auf nur rund vier Quadratkilometern unter katastrophalen Bedingungen leben mussten. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen dabei zwei zentrale Akteure der Gettoverwaltung: Mordechai Chaim Rumkowski, von den deutschen Besatzern zum „Judenältesten“ ernannt, sowie Hans Biebow, Leiter der deutschen Verwaltungsinstanz. Ihre sehr unterschiedlichen Rollen und Handlungsräume wurden kritisch beleuchtet und in den historischen Kontext eingeordnet.

Zum Abschluss des Tages sahen sich die Teilnehmenden die vielfach ausgezeichnete Dokumentation „Der Fotograf“ (1999) von Dariusz Jablonski an. Der Film basiert auf einer Serie von Farbdias, die der NS-Finanzverwalter Walter Genewein im Getto anfertigte, und stellt dessen akribisch geführte, entmenschlichende Aufzeichnungen den Erinnerungen des Überlebenden Arnold Mostowicz gegenüber. In der anschließenden Diskussion reflektierten die Gruppe insbesondere Geneweins manipulative Sicht auf das Getto, die Banalität seiner bürokratischen Bemerkungen sowie den Kontrast zu den Schilderungen Mostowicz’.

Die im Vorbereitungsseminar erarbeiteten Themen werden im Rahmen der Exkursion nach Łódź weiter vertieft. Gemeinsam mit den polnischen Studierenden der Universität Łódź sowie den Gießener Polizeibeamten werden die Teilnehmenden vor Ort den Spuren nachgehen, die das Getto Lodz/Litzmannstadt im heutigen Stadtbild sowie in den zahllosen zeitgenössischen Textzeugnissen hinterlassen hat.

Ermöglicht wird die Exkursion durch die großzügige Förderung durch die Justus-Liebig-Universität Gießen, die Partneruniversität Łódź, die DAAD-Ostpartnerschaften, die Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu Lich sowie den Förderverein der Arbeitsstelle Holocaustliteratur. Auch dem Ehepaar Sima (Grünberg) sei für ihre Unterstützung herzlichst gedankt.


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