Am Samstag fand im Gießener Rathaus eine Stunde der Erinnerung und Mahnung zum Gedenken an den 76. Jahrestag der Deportation von 14 Angehörigen der Gießener Sinti und Jenischen am 16. März 1943 und an weitere deportierte Angehörige der Gießener Sinti und Jenischen statt. "Sinti, Roma und Jenische gehörten zu uns, gehören zu uns und werden auch immer zu uns gehören", betonte die Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen, Dietlind Grabe-Bolz, in ihren einleitenden Grußworten.
Vor 76 Jahren begann am 16. März 1943 für 14 Mitglieder der Familie Klein aus Gießen ein grauenvoller Leidensweg; wenige Wochen später auch für Angehörige der Familie Mettbach: Infolge des sogenannten 'Auschwitz-Erlasses' des Reichsführers SS Heinrich Himmler wurden sie über Darmstadt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Aus pseudowissenschaftlichen 'rassebiologischen' Überlegungen heraus sollten sogenannte 'Zigeuner' oder 'Zigeunermischlinge' in die Konzentrationslager verschleppt und ermordet werden. "Am Ende dieser Deportationswelle", so Grabe-Bolz weiter, "lebten in Gießen keine Sinti und Jensiche mehr". Kaum einer von ihnen überlebte und konnte nach Kriegsende zurückkehren.
Bis heute ist die Geschichte der Sinti und Jenischen immer noch kaum bekannt, kaum Bestandteil des öffentlichen Erinnerungsdiskurses. Ein wesentlicher Grund dafür sei, so die Oberbürgermeisterin, dass diese lange darum kämpfen mussten, überhaupt als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik anerkannt zu werden. Aber auch heute noch stehen sie oftmals vor einer "Wand der Ablehnung", wird es ihnen etwa schwer gemacht, eine Wohnung zu finden und die Kinder werden in der Schule diskriminiert, betont Rinaldo Strauß für den Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Hessen in seinem Grußwort. Umso wichtiger sei es laut Strauß daher, "gemeinsam den Kampf gegen faschistische und rassistische Bestrebungen", die in letzter Zeit erstarkt seien, weiterzuführen. "Ein entschiedenes Eintreten" sei unerlässlich, auch in der Bildungsarbeit, um eine "Gesellschaft mit aufgeklärten Menschen" zu gestalten, die "keine Angst voreinander haben", so Strauß weiter.
Heidrun Helwig, Historikern und Journalistin aus Gießen, erforscht seit vielen Jahren die Schicksale der Sinti und Jenischen aus Gießen und hat mit ihrer Arbeit schon "viele Opfer dem Vergessen entrissen", so die Oberbürgermeisterin. Auch im Rahmen der Gedenkstunde erinnerte Helwig stellvertretend an vier Menschen, bevor die Anwesenden am Mahnmal für alle Opfer und Verfolgten des Nazi Regimes am Berliner Platz Blumen zum Gedenken ablegten. Eindrücklich beleuchtete Helwig das Schicksal von Katharina 'Käthe' Sell, die Dachau, Mauthausen, Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen überlebte und nach dem Krieg lange um Wiedergutmachung kämpfen musste. Für Ferdinand Klein wurde in Gießen vor wenigen Jahren der erste Stolperstein für Jensiche in Gießen verlegt, er überlebte u.a. Osthofen und Auschwitz-Birkenau. Auch ihm blieb lange Zeit eine Wiedergutmachung verwehrt, da er, so die absurde justiziare Begründung, unter dem NS-Regime als sogenannter 'asozialer' und nicht aus 'rassischen' Gründen verfolgt worden sei. Ewald Mettbach war gerade einmal fünf Jahre alt, als er nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde und dort – darauf weisen nach Helwig die einschlägigen Unterlagen hin – Experimenten durch Josef Mengele ausgesetzt war. Anna Mettbach, die "kleine, große Sintezza", so Helwig, überlebte und kehrte nach Gießen zurück. Nach den Anschlägen in Mölln fasste sie den Entschluss, dass sie über ihre Erlebnisse und das Erlittene berichten müsse. "Die grauenvolle Geschichte der Sinti und Roma lässt sich anhand des Mikrokosmus Gießen zeigen", so betonte Helwig abschließend.