„Meine schreckliche Geschichte begann ungefähr in einem Alter, in dem ihr jetzt seid“, so richtete sich Éva Fahidi nach einer kurzen Begrüßung durch Prof. Dr. Sascha Feuchert gleich zu Beginn an die zahlreichen Studierenden und Schüler unter den über 400 Zuhörern, die am 13. November auf Einladung der Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer e.V., der Arbeitsstelle Holocaustliteratur und der Professur für Zeitgeschichte (Prof. Dr. Hannah Ahlheim) an der JLU Gießen sowie der Stadt Gießen in den Hörsaal I des Philosophikums I gekommen waren. Neben den Studierenden und einigen Schulklassen waren auch zahlreiche weitere Interessierte erschienen, um Éva Fahidi zu sehen – der Platz im Hörsaal reichte leider nicht einmal aus, um alle Zuhörer unterzubringen.
Am 22. Oktober 1925 wurde Fahidi in Ungarn in eine jüdische Familie geboren, die jedoch 1936 zum Katholizismus konvertierte. Dennoch waren sie von den immer strengeren antisemitischen Gesetzen betroffen, die die jüdische Bevölkerung zunehmend ausgrenzten und in ihren Freiheiten beschränkten. Eindrücklich schilderte Fahidi, wie es sich anfühlt, wenn man als Jugendlicher plötzlich einen gelben Stern tragen muss und einem unbändiger Hass entgegenschlägt. Sie lud die Zuhörer immer wieder ein, sich in diese Situationen einzufühlen. „Darüber muss ich sprechen“, betont sie: „Ich rede immer über den Hass. Alles Schlimme, was einem zukommen kann, hat seinen Grund im Hass.“
Sie erzählte den deutlich bewegten Gästen auch von der ständigen Angst, die entsteht, wenn man so gehasst wird. Man begreife es nicht, sagt sie. Man lebe mit der Familie zusammen in einem Haus, eines Tages müsse man einige wenige Sachen packen und alles andere zurücklassen und einem ungewissen Schicksal entgegengehen. „Stellt euch vor, was packt ihr ein?“, fordert sie das Publikum auf. Sie werde oft gefragt, ob sie selbst die Menschen hassen würde, die ihr das angetan haben, so Fahidi. Wichtig ist ihr jedoch die Botschaft, dass Hass immer nur neuen Hass und neues Leid hervorruft: „Jemand muss sagen, jetzt ist es zu Ende. Ich will nicht mehr hassen, weil ich die Erfahrung habe, was daraus wird“.
Als die deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1944 Ungarn besetzte, wurde die Familie zunächst gezwungen, im Getto zu leben; im Juni 1944 wurde sie nach Auschwitz verschleppt. Hier wurden Éva Fahidis Mutter und Schwester sofort in der Gaskammer ermordet, der Vater starb wenig später im Lager. Auch von der übrigen Familie überlebte kaum jemand. Ihr selbst gelang es, in einem Außenlager des KZ Buchenwald zu überleben, wo sie gezwungen wurde, in der Granatenproduktion zu arbeiten. Im März 1945 wurde sie auf einem Todesmarsch befreit und kehrte nach Ungarn zurück.
Den heutigen Jugendlichen möchte sie vor allem auch vermitteln, wie wichtig es ist, sich darum zu bemühen, ein ‚guter Mensch‘ zu sein. Das bedeute, dass man das Leben anderer achte, auch das der Tiere, wie sie betonte. Man müsse sich vornehmen, niemandem etwas Böses antun zu wollen und keinem Schaden zuzufügen. „Man darf nichts wegnehmen, was man nicht wiedergeben kann“, hob sie mehrfach hervor. Vieles ließe sich ersetzen – Kleidung und sogar ein Haus. „Aber das Leben kann man nicht noch einmal haben!“ Wenn man jemandem das Leben nehme, könne man es nicht zurückgeben, so Fahidi nachdrücklich.
Im Anschluss an Éva Fahidis Schilderungen hatte das Publikum die Gelegenheit, ihr Fragen zu stellen. Den Willen zum Weiterleben im Lager, so antwortete sie einem Zuhörer, habe sie vor allem aus der engen Gemeinschaft von fünf Mädchen geschöpft, die sich immer wieder gegenseitig gestützt und bestärkt hätten. Sie habe fest daran geglaubt, dass sie alle überleben würden – was dann auch tatsächlich geschah.
Nach der Befreiung, so beantwortete sie eine weitere Frage, habe sie festgestellt, dass sie 49 Mitglieder aus ihrer Familie verloren habe. Sie habe nach Hause zurückkehren müssen, um das mit eigenen Augen zu sehen, sie habe das einfach nicht glauben können. Doch dort, wo einmal ihr Zuhause gewesen war, sei nichts mehr gewesen, in ihrem Haus waren Fremde. Ein Onkel in der Slowakei habe sie schließlich zu sich geholt, dort habe sie zunächst beinahe zwei Jahre lang gebraucht, um die Tatsache zu akzeptieren, dass sie selbst überlebt habe und ihre Familie, vor allem ihre kleine Schwester, jedoch nicht. Das sei unbegreiflich gewesen und sie habe sich selbst überflüssig gefühlt, so Fahidi.
Heute ist es ihr wichtig, vor allem Jugendlichen immer wieder von ihren Erlebnissen im Holocaust zu erzählen, damit diese nicht in Vergessenheit geraten und vor allem, damit etwas Ähnliches nicht wieder geschieht. „Ich habe ein empfindliches Gehör, ich weiß, wie es angefangen hat“, so erklärt sie. Sie wolle, dass auch die jungen Menschen ihr Gehör dafür schärfen: „Ich will, dass ihr sofort hört, wenn es um den Hass geht. Ihr sollt sofort etwas dagegen tun“, fordert sie die Anwesenden auf. Wenn ein Satz in Erinnerung bleibe, so ihr Wunsch, dann der, dass wir nicht hassen dürften. „Wir Menschen sind uns sehr, sehr ähnlich. Auf die Ähnlichkeit soll man achten, nicht auf das, was uns separiert.“
Éva Fahidi spricht heute, am 14. November, um 19.00 Uhr in Marburg sowie am 16. November um 16.00 Uhr in Butzbach.