am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Ein Text von ′enormem dokumentarischen Wert′ - Bericht zur Lesung aus ′Mit den Augen eines zwölfjährigen Mädchens: Ghetto - Lager - Versteck′ von Janina Hescheles

13.11.2023

8. November 2023

Anlässlich des Gedenkens an die Novemberpogrome von 1938 veranstaltete die AHL in Kooperation mit der DEXT-Fachstelle der Universitätsstadt Gießen und dem Jugendbildungswerk Gießen (JBW) am 8. November im Jokus eine Lesung aus Janina Hescheles’ Bericht „Mit den Augen eines zwölfjährigen Mädchens: Ghetto – Lager – Versteck“ (2019) durch Carolin Weber (Stadttheater Gießen) mit einer inhaltlichen Rahmung durch Tim Spengler (AHL). Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe „Erinnern, mahnen, wachsam sein“ statt, die von dem JBW, dem Kulturamt Gießen sowie der DEXT-Fachstelle jährlich rund um den 9. November organisiert wird. 

Diesem „beeindruckende[n] und wichtige[n] Buch“ sei es zu wünschen, dass es einen Weg in die Schulklassen finde, betonte Birgit Schlathölter (DEXT-Fachstelle Gießen) zu Beginn der Lesung. Zum Zeitpunkt der Niederschrift gerade einmal 12 Jahre alt, berichtet Janina Hescheles in ihrem Tagebuch von ihren Erfahrungen im Holocaust. Schonungslos erzählt sie von den Anfängen der deutschen Besatzung in ihrer Heimatstadt Lemberg, den Pogromen ukrainischer Nationalisten und dem Verlust ihrer Eltern, vom Getto und dem Arbeiten sowie dem Massenmord im Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska. Nicht zuletzt, weil jenes Lager bis heute weithin in Vergessenheit geraten ist, sei ihr Bericht, den sie nur wenige Wochen nach ihrer Befreiung und innerhalb kürzester Zeit verfasste, von „enormem dokumentarischen Wert“, resümierte Tim Spengler.

Ergänzend zu Auszügen aus dem Bericht, der 1946 erstmals auf Polnisch veröffentlicht wurde, rezitierte Schauspielerin und Sprecherin Carolin Weber außerdem einige Gedichte, die Hescheles während ihrer Internierung im Lager schrieb und die für sie in zweifacher Hinsicht eine lebensrettende Funktion hatten. Die Poesie diente ihr nicht nur als Ausdruck für das erlittene Leid und ihrer Sehnsüchte, sondern trug auch entscheidend zu ihrer Rettung aus dem Lager bei, erklärte Spengler: Hescheles präsentierte ihre Gedichte auf Veranstaltungen des konspirativen literarischen Lebens im Lager, wodurch ein anderer Lagerinsasse, der polnische Widerständler und Schriftsteller Michal Borwicz, auf sie aufmerksam geworden war. Er veranlasste mit Kontakten zum polnischen Untergrund ihre Flucht aus dem Lager, die im Oktober 1943 gelang. Bis zu ihrer Befreiung im Jahr 1944 lebte sie in der Nähe von Krakau bei Menschen, die sie verstecken. 1950 emigrierte sie nach Israel, studierte Chemie und promovierte 1962, heiratete und bekam zwei Söhne. Immer wieder beschäftigte sie sich auch mit dem Holocaust und dem Widerstand sowie mit dem Verhältnis deutscher Wissenschaftler zum Nationalsozialismus. Bis an ihr Lebensende engagierte sie sich für die Frauen- und die Friedensbewegung. Sie starb 2022 im Alter von 91 Jahren. 

Seit 2019 liegt ihr Bericht erstmals vollständig in deutscher Sprache als 7. Band der gemeinsamen Schriftenreihe „Studien und Dokumente der Holocaust- und Lagerliteratur“ der AHL und der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu Lich vor. Neben Gedichten aus dem Lager und einer Dokumentation der Textvarianten enthält der im Metropol Verlag erschienene Band auch ein Nachwort des Herausgebers Markus Roth zum historischen Kontext sowie zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Übersetzt wurde das Werk aus dem Polnischen von Christina Marie Hauptmeier. Weitere Informationen zum Buch sowie eine Bestellmöglichkeit finden Sie hier

Hinweise zu den noch ausstehenden Veranstaltungen der Reihe „Erinnern, mahnen, wachsam sein“ erhalten Sie hier.


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