Mit einer Lesung erinnerte die Arbeitsstelle Holocaustliteratur in Kooperation mit der Professur von Prof. Dr. Greta Olson (Institut für Anglistik) und mit Unterstützung des Kultur- und Veranstaltungsmanagement der Justus-Liebig-Universität Gießen am Dienstag, den 9. Mai 2023, an das Leben und Wirken der Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus und JLU-Alumna Mildred Harnack-Fish. Zu Gast in der Aula des Universitätshauptgebäudes war Harnacks Urgroßnichte, die US-amerikanische Schriftstellerin Rebecca Donner, um über ihre preisgekrönte Biografie „Mildred – Die Geschichte der Mildred Harnack und ihres leidenschaftlichen Widerstands gegen Hitler“ zu sprechen. Darin erzählt sie die Geschichte ihrer Urgroßtante, die während des Zweiten Weltkriegs aktiv an der Organisation des größten kommunistischen Widerstandskreises im Berliner Untergrund, von der Gestapo „Rote Kapelle“ genannt, beteiligt war. Als das Netzwerk jedoch aufflog, wurde sie zunächst einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, doch dann auf persönliches Geheiß Adolf Hitlers im Februar 1943 durch die Guillotine hingerichtet.
Der Versuch, das Andenken an Harnack auszuradieren, wurde sowohl zu ihren Lebzeiten als auch nach ihrem Tod unternommen, berichtete Donner. Nicht nur sei ihr eigenes Ziel die „Selbstauslöschung“ gewesen, da sie als Widerstandskämpferin so ungehört und ungesehen wie möglich sein musste, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen, wie Donner zu Beginn in ihrem Buch anmerkt. Auch ihre Familie habe versucht, ihr Vermächtnis zu vernichten: Mildreds Schwester forderte die Familienmitglieder brieflich auf, sämtliche Dokumente, die in Verbindung zu Harnack stehen, zu verbrennen. Dieser Bitte aber kamen sie nicht im vollen Umfang nach, sodass einige Briefe auf dem Dachboden des Familienhauses überdauerten. Im Alter von 16 Jahren überließ Donners Großmutter ihr jenes erhaltene Päckchen mit dem Auftrag, ein Buch über Mildred zu schreiben.
So folgte Donner zehn Jahre lang energisch jener Spur, die ihre Urgroßtante trotz ihres Wunsches, unsichtbar zu sein, hinterlassen hatte: Sie führte sie nach Deutschland, Russland, England und in die USA. Die Ergebnisse dieser Recherchen habe sie „mit akribischem Mitgefühl“ und dem „beflügelten Wort einer Romanschreiberin“ niedergeschrieben, so Prof. Dr. Greta Olson, die die Veranstaltung moderierte. Neben der multiperspektivischen Anlage ihres Buches wählte sie dafür das Präsens – und nicht wie bei Biografien üblich das Präteritum – als Erzählform, um „die Geschichte lebendig werden zu lassen“ und „den Leser an der Seite Mildreds durch die Straßen Berlins gehen zu lassen“.
Angeregt durch die Fragen des Publikums sprach Donner zudem über die Entstehungsgeschichte und die Besonderheiten ihres Buches sowie über die vielfältigen Verflechtungen zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen gegen das NS-Regime, die sie erst durch die Recherche aufgedeckt hatte. In ihrem Schlusswort betonte die Autorin noch einmal, dass sie sich bewusst dafür entschieden habe, die Geschichte ihrer Urgroßtante als nicht-fiktionales, wenn auch literarisiertes Sachbuch zu erzählen und eben nicht als Roman, wie es ihr mehrfach nahegelegt wurde, denn „the power of Mildred‘s story is that it is true“, so Donner.
In der Gießener Allgemeine ist am 10. Mai ein Artikel von Dagmar Klein über die Lesung erschienen. Den vollständigen Beitrag können Sie hier lesen.