am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Zeitzeuge Mieczysław ′Mietek′ Grochowski war am 26. Januar 2023 anlässlich des Internationalen Holocaustgedenktags zu Besuch an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur

27.01.2023

26. Januar 2023

Bild: Karolin Kreyling
Bild: Karolin Kreyling

Im Rahmen einer vom Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e. V. organisierten und durch die Hessischen Landeszentrale für politische Bildung geförderten Vortragsreihe anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocausts am 27. Januar besuchte Mieczysław „Mietek“ Grochowski am 26. Januar 2023 die Arbeitsstelle Holocaustliteratur, um über seine Kindheitserinnerungen an das Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz zu sprechen. Der Vortrag mit anschließendem Gespräch wurde von Studierenden der Justus-Liebig-Universität Gießen, Besucher:innen der Hochschulinformationstage und auch extern Interessierten wahrgenommen. Angelina Isak (studentische Hilfskraft an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur) übernahm die Moderation. 

Mieczysław „Mietek“ Grochowski eröffnete seinen Vortrag mit den Trompetenklängen eines selbst komponierten Liedes, das an das Leid der Kinder von Potulice erinnern soll. Als jüngstes von acht Kindern wurde er am 25. März 1939 im polnischen Pommern geboren. Nach Ausbruch des Krieges versuchten die deutschen Besatzer, Teile der pommerschen Bevölkerung zu „germanisieren“, indem sie die sogenannte „Volksliste“ erstellten, die denjenigen, die auf sie aufgenommenen wurden, eine deutsche Staatsbürgerschaft zugestand. Mieteks Vater und Großvater aber weigerten sich, die Liste zu unterschreiben, um dem deutschen Wehrdienst zu entgehen und ihre polnische Identität nicht aufzugeben. Dies hatte zur Folge, dass die gesamte Familie Mitte 1943 inhaftiert und in Viehwaggons von Danzig in das KZ Stutthof deportiert wurde. Von sechs seiner Geschwister und seinem Vater Josef getrennt, wurde der damals vierjährige „Mietek“ zusammen mit seiner zwei Jahre älteren Schwester und seiner Mutter in das Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potuliz (einem Außenlager des KZ Stutthof) gebracht. Eindrücklich schilderte er das alltägliche Leid der Kinder im Lager: Er berichtete von der eisigen Kälte, von der Angst vor den Peitschenhieben des Kapos und von Würmern in der ohnehin wässrigen Suppe. Die Kinder bekamen nur etwa 800 Kilokalorien am Tag. „Das war eine Balance zwischen Leben und Tod“, erklärte Grochowski. Neben Wanzen und Läusen wurde das Leben im Lager auch von schweren Krankheiten gezeichnet, für die es keine medizinische Behandlung gab. Mietek erkrankte schwer an Typhus, war drei Tage lang besinnungslos und überlebte nur, weil seine Mutter ihn im Bett versteckte und ihn so vor der Einweisung in die Krankenstube bewahrte, aus der kaum jemand zurückkehrte. Sein Vater, der nach Toruń verlegt worden war, konnte die Familie in dieser Zeit nur noch wenige Male besuchen. Anfang 1944 erfuhr die Familie per Telegramm, dass er „gefallen“ sei. Die Todesursache haben sie nie erfahren.

Im Februar 1945 kam der Befehl, so Grochowski, dass die Kinder, die Verwandte außerhalb des Lagers hatten, Potulice verlassen konnten. Er lebte daraufhin zunächst bei seiner Tante, bis auch seine Mutter nach etwa drei Monaten mit seinen Geschwistern nach Hause zurückkehrte. Nach dem Krieg besuchte er ein Internat und wurde im Alter von 18 Jahren Autoelektriker. In dieser Zeit entdeckte er auch seine Leidenschaft für das Trompetenspiel. Er trat dem polnischen Marineorchester bei und spielte auch im Circus Busch in der DDR. Dort lernte er die deutsche Zirkusartistin Heidi kennen, mit der er heute glücklich verheiratet ist und abwechselnd in Danzig und Berlin lebt.

In seiner Familie habe man nicht über die Erfahrungen des Krieges gesprochen. „Das Thema war tabu“, erzählte der 83-Jährige. Dies sei der Grund, warum er erst nach seinem 60. Lebensjahr begonnen habe, sich als Zeitzeuge zu engagieren: „Es ist kein leichtes Thema – weder zu hören noch zu erzählen“. Und doch sei es ihm ein wichtiges Anliegen, die Erinnerung wachzuhalten und vor einer Wiederholung der Geschichte zu warnen, denn er sei „einer der jüngsten und einer der letzten Überlebenden“. Hass und Rache seien ihm und seiner Familie zeitlebens fremd gewesen. „In Auschwitz hat ein Häftling in einem Bunker mit den Nägeln an die Wand gekratzt: ‚Unsere Schatten rufen nicht nach Rache, sondern nach Erinnerung‘“, so Grochowski, „das ist meine Aufgabe.“ 

Mieczysław Grochowski verabschiedete sich mit zwei weiteren Trompetenstücken von den Teilnehmenden.


In der Gießener Allgemeinen Zeitung ist am 28. Januar unter dem Titel „Die Schatten rufen nach Erinnerung“ ein ausführlicher Bericht von Lea Seitz zum Besuch von Mieczysław „Mietek“ Grochowski an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur erschienen. Zum Artikel gelangen Sie hier.

 


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