am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Jost Hermand: Kultur in finsteren Zeiten

Jost Hermand: Kultur in finsteren Zeiten

Der Kulturbegriff ist abhängig von zeitlichen und gesellschaftlichen Faktoren immer wieder neu bestimmt worden. Die nationalsozialistische Propaganda verwendete den Begriff "Kultur" schlagwortartig und nahezu ebenso häufig wie "Rasse" und "Volk", wie Jost Hermand ausführt. Hermand geht dabei der Frage nach, welcher politästhetische Anspruch bei den Nationalsozialisten mit dem Begriff "Kultur" einherging und welche Auswirkungen diese auf Künstler in Deutschland und im Exil hatten. Der renommierte Professor für Neuere deutsche Literatur und deutsche Kulturgeschichte an der University of Wisconsin-Madison und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin hat bereits zahlreiche Publikationen zur deutschen Kulturgeschichte und zum Nationalsozialismus veröffentlicht.

Hermand gliedert das Buch in drei große Teile, in denen er sich den drei Haltungen, mit denen Künstler auf die NS-Kulturpolitik reagierten, widmet: dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus, der Inneren Emigration oder dem Exil. Innerhalb dieser untersucht er die verschiedenen Kunstformen wie Literatur, Malerei und Skulptur, Musik, Theater sowie Rundfunk, Film und Presse.

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Kapitel zum Nationalsozialismus. Hermand untersucht hier die verschiedenen Kulturansprüche und die kulturpolitischen Rahmenbedingungen im nationalsozialistischen Deutschland und fasst die wichtigsten Feindbilder und proklamierten Zielsetzungen einer "ewig-deutschen Kultur" (S. 47) zusammen.
Sehr differenziert und anhand zahlreicher Beispiele geht er der Frage nach, wie es den Nationalsozialisten gelingen konnte, die Mehrheit der Deutschen für sich zu gewinnen. Gelungen arbeitet er heraus, wie diese, entgegen der eigenen Proklamationen und Propagandabehauptungen, keineswegs eine eigenständige und einheitliche "Kulturlandschaft" entwickelten. Zwar schalteten sie alle "Entartete Kunst", also alles "Kommunistische", "Semitische", "Hurenhafte", "Irrsinnige" oder "Negroide" - kurz alles als undeutsch Denunzierte – aus. (S. 51) Die von NS-Kulturtheoretikern, allen voran Alfred Rosenberg, so häufig beschworene "Volkskultur" und "Volkskunst", in der "es keine Spaltung in Hohes und Niederes mehr geben dürfe, sondern in der alle ‚Volksgenossen‘ in ihrem Kunsterleben von den gleichen völkischen Hochgefühlen ergriffen würden" (S. 53) wurde jedoch nie Realität. Statt dessen setzte sich das weitaus massenkompatiblere und weniger radikale Konzept von Joseph Goebbels durch. Hermand stellt überzeugend dar, wie es den Nationalsozialisten mit einem breiten Kulturangebot, aufgespalten in die traditionelle Hochkultur, einer sogenannten Durchschnittskultur und einer massenmedialen Unterhaltungskultur für die Unterklassen gelingen konnte, eine Mehrheit der Deutschen von den "nazifaschistischen Fernzielen" (S. 166) abzulenken und ihnen "Entspannung" (S. 161) zu bieten.
Er argumentiert, dass die Vertreter der Inneren Emigration und des Exils dagegen ohne Zugang zu diesen Massenmedien und der mangelnden Möglichkeit, ihre Kunst öffentlich zu präsentieren und zu verbreiten, weitgehend isoliert und damit vorerst relativ wirkungslos blieben. Während im Exil vor allem sprachliche Hürden und Akzeptanzprobleme in den "Gastländern" ein erfolgreiches Schaffen oftmals verhinderten, erschwerte bei den Künstlern der Inneren Emigration die Grauzone zwischen Widerwillen und Anpassung ihre Arbeit, so Hermand. Ohnehin zählt er nur wenige Künstler und Kunstwerke zu dieser Gruppe. Denn, so argumentiert er, eine Kunst der Inneren Emigration, müsse "trotz aller erzwungenen Anpassung – kritische oder gar widersetzliche Haltungen zu erkennen geben" (S. 177).

Bisweilen enthält der ansonsten hochinteressante und wohlgeschriebene Text zu viele Wiederholungen und Redundanzen. Vor allem für Leser mit Vorkenntnissen, die sich differenziert und detailliert mit den verschiedenen Kunstformen und Künstlern im Nationalsozialismus auseinandersetzen möchten, ist das Buch jedoch eine ergiebige Informationsquelle.

Von Charlotte Kitzinger


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