am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Bedeutender katalonischer Text der Holocaust-und Lagerliteratur nun in deutscher Übersetzung

Wenig bekannt ist bislang die Tatsache, dass im Konzentrationslager Mauthausen etwa 7000 Spanier inhaftiert waren, von denen nur etwa 2000 überlebten. Einer davon war Joaquim Amat-Piniella. Seinem eigenen Schicksal und dem seiner spanischen Mitgefangenen widmet sich der Autor in seinem Werk „K.L. Reich“ jedoch nicht dokumentarisch, sondern mit fiktionalen Mitteln, wenngleich der Roman viele autobiographische Details enthält.
Amat-Piniella war ein katalanischer Antifaschist. Er flüchtete Anfang 1939 vor Franco nach Frankreich, wo er in verschiedenen Lagern interniert war. 1941 wurde er dann in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. In seinem Roman wolle er, so schreibt er im Vorwort von 1963, eine „Gesamtheit von Szenen, Situationen und Persönlichkeiten“ (S. 10) schildern, die er in den Lagern, hauptsächlich jedoch in Mauthausen, erlebt habe. Er habe sich für die Romanform entschieden, schreibt er weiter, „weil sie mir der inneren Wahrheit derer näher erscheint, die wir dieses Abenteuer bestanden haben. Nach allem, was mit der kalten Eloquenz von Zahlen und Presseberichten über die Lager geschrieben worden ist, glaube ich, mit der Schilderung des Schicksals meiner Figuren – ganz gleich, ob real oder nicht – einen treffenderen, lebendigeren Eindruck von ihnen vermitteln zu können, als es mir mit der Beschränkung auf eine objektive Darstellung möglich wäre“ (S. 11).

Obgleich im Roman weder Mauthausen noch die Nebenlager ausdrücklich erwähnt werden, sind dies die Schauplätze der Erlebnisse einer Gruppe spanischer Häftlinge, die teilweise auf realen Vorbildern basieren, von etwa 1941 bis 1945. Eine der Hauptfiguren ist Emili, der im KZ unter anderem als Zeichner tätig ist, und dem es gelingt, die Lagerhaft zu überleben. Aus dessen Perspektive verfolgt der auktorial-personale Erzähler größtenteils – oftmals ironisch – die Geschehnisse im Lager. Auch über Dialoge wird ein Großteil des Geschehens vermittelt, das sich zwischen den unterschiedlichen Gruppen der inhaftierten Spanier entwickelt. Diese werden als einerseits politisch sehr aktiv, andererseits aber als sehr gespalten beschrieben. Anarchisten und Kommunisten etwa setzen im Lager ihre Auseinandersetzungen, die vor dem Spanischen Bürgerkrieg begannen, fort. Themen wie der spanische Widerstand spielen daher immer wieder eine Rolle. Der Titel des Romans steht für die Buchstaben ‚K. L. Reich‘, die als Kennzeichnung auf allen Gegenständen des Lagers gedruckt waren: „Mit Farbe auf die Wäsche gedruckt, ins Holz eingebrannt, hatte Emili es in den letzten viereinhalb Jahren ständig vor Augen und weiß, dass es das Stigma ist, mit dem sie ihn brandmarken wollten, die Grabinschrift, die seinen toten Gefährten zuteil wurde“ (S. 325f.).

Amat-Piniella schafft es das Leben und Sterben der Häftlinge im Lager zu beschreiben und atmosphärisch zu gestalten. Die Schilderungen von Gedanken und Empfindungen machen den Roman dabei wesentlich aus. Der Leser erhält tiefe Einblicke in die komplexen psychologischen Vorgänge der Häftlinge, etwa bei der Folter, sowohl auf der Ebene des Gefolterten als auch des Folterers. So wird ausführlich beschrieben, wie der Blockälteste Popeye den Häftling Vicent, der den Hunger nicht mehr erträgt und einem Mithäftling ein Stück Brot klaut, in den ‚Brotkasten‘ sperrt. In dieser Kiste aus Holzlatten, in die ein Mann zusammengekrümmt hineingezwängt werden kann, wird er dann ertränkt: „Sein Körper zuckte in dem Kasten, der so instabil war, dass er, immer noch aufrecht stehend, in der Dusche hin und her rutschte. Vicents Heulen wurde immer durchdringender. Mit Stöcken verhinderten Popeyes Gehilfen das Kippen des Kastens, und die Spitzen der Stöcke drangen durch die Ritzen und rissen Vicents vor Kälte schon taube Haut auf. Es war eine merkwürdige Kälte, eine Kälte, die aus seinem Inneren zu kommen schien, eine Kälte, die seine Stimme schwächer werden ließ, bis er wimmerte wie ein Kind“ (S. 142).
Amat-Piniella schildert das Leiden und die Gräuel eindringlich – wie etwa die sogenannten Blutorgien der SS, die sie vorrangig an den Juden im Lager durchführen – und stellt gleichzeitig die emotionale Abstumpfung und Gewöhnung, sogar die Faszination der Gewalt auf die Häftlinge nebeneinander. Emili beobachtet, wie die SS Neuankömmlinge mit der Peitsche und mit Wasserschläuchen quält und tötet: „Als Emili im Morgengrauen zu Bett ging, fand er keinen Schlaf. […] Die zuckenden Münder, Augen, Arme und Beine übten jetzt, da nichts mehr zu hören war als der ruhige Atem seiner schlafenden Kameraden, eine ebenso qualvolle wie absurde Faszination auf ihn aus. […] Emili hatte die beschämendste Erkenntnis seines Lebens gehabt: Er hatte den Peitschenschlag des heißen Blutes vernommen, nur für einen Sekundenbruchteil, wie einen Blitz; die Erregung der menschlichen Bestialität, bereit hervorzubrechen, sobald der Geist sich fallenlässt und in einem Brunnen voll Schlamm versinkt“ (S. 166f).
Selbst die letzten Gedanken eines Sterbenden inszeniert Amat-Piniella erzählerisch: „Francesc musste sich anstrengen, um seine Gedanken zu sammeln und sich bewusst zu machen, dass er sterben würde. [Er] spürte einen Stich ins Herz. Die Waffe war kalt und machte sich in seiner Brust breit. Ein heftiger, aber nicht unerträglicher Schmerz. Allmählich verschwand alles, nur im Spiegel waren noch die vagen Schatten einer beinahe mütterlichen Nacht zu sehen. Ein lautes Geräusch im Inneren seines Kopfes machte ihn taub, es war, als wolle sein Gehirn explodieren; ein Lärm, der zu einem lang gezogenen, feinen, durchdringenden Pfeifen wurde. Unterdessen stieg der Tisch langsam höher und höher …“ (S. 183).

Der Roman kann mit zu den frühen Werken der Holocaust- und Lagerliteratur gezählt werden. Bereits um 1946 begann Amat-Piniella die Arbeit daran. 1948 soll eine erste Fassung fertiggestellt worden sein, die er jedoch immer wieder umschrieb. Aus Gründen der Zensur konnte der Roman dann erst 1963 in spanischer Übersetzung und wenig später im katalanischen Original veröffentlicht werden. Er erhielt 1965 den Fastenrath-Preis für das beste katalanische Buch und ist – laut Klappentext – in Katalonien sogar ein Klassiker und Schullektüre. 2001 wurde zudem eine katalanische Ausgabe publiziert, die auf ein Manuskript von 1946 zurückgeht. Beide Fassungen erheben offenbar Anspruch darauf, die ‚authentische‘ zu sein. Seit 2016 liegt das Werk nun auch erstmals – in der Fassung der Ausgabe von 1963 – in deutscher Übersetzung vor.

Amat-Piniellas Roman, der auch ein ausführliches Nachwort von Marta Marín-Dòmine zu Autor, Werk und Publikationsgeschichte enthält, ist ein (weiteres) Beispiel dafür, dass es bereits unmittelbar nach Kriegsende möglich war, fiktionale Texte über die Konzentrationslager zu schreiben, auch dann, wenn der Autor selbst unmittelbar Betroffener war. Das Werk zeigt zudem, dass Fiktion über den Holocaust sehr wohl in der Lage ist, Ambivalenzen und Grautöne einfühlsam zu schildern, ohne banal, trivialisierend oder nivellierend zu werden.

Von Charlotte Kitzinger

 

Joaquim Amat-Piniella: K.L. Reich.

Wien: Czernin Verlag, 2016.
368 Seiten. 24,90 Euro.
ISBN-13: 9783707605907; ISBN-10: 3707605906


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