Geplant war die Übergabe des Nachlasses schon viel früher. Zumal der Oberstaatsanwalt nicht erst nach seiner Pensionierung die Veranstaltungen der AHL regelmäßig besucht und deren Veröffentlichungen – vor allem die Tagebücher des Laubacher Justizinspektors Friedrich Kellner – mit großem Interesse gelesen hat. Doch zunächst machte die Cyber-Attacke auf die JLU im Jahr 2019 die Katalogisierung unmöglich. Anschließend verhinderte die Corona-Pandemie lange Zeit persönliche Kontakte. „Wir freuen uns sehr, dass die Bücher, die unserem Vater wichtig waren, für Studierende und Forschende zugänglich sein werden“, betonte Antje Thiele. Einzelne Exemplare, die bereits an der AHL vorhanden sind, sollen als Buchspende an den Verein „Gefangenes Wort“ gehen, die mit dem Verkauf verfolgte Autoren und Journalisten unterstützen. „Auch diese Weitergabe ist ganz im Sinne unseres Vaters“, ergänzte Jochen Thiele.
1949 wurde Wolfgang Thiele in Kassel geboren. In Marburg und Gießen hat er Rechtswissenschaften studiert und sich für eine Tätigkeit im Staatsdienst entschieden. Bei seinem Vorstellungsgespräch im hessischen Justizministerium habe er im Oktober 1977 unmissverständlich klargemacht, dass er „alles außer Staatsanwalt“ werden möchte, berichtete er selbst im Interview zu seinem Ausscheiden nach 37 Dienstjahren im April 2014. Immerhin galten Anklagevertreter für die 68er-Generation nicht gerade als Avantgarde und weltoffene Aufklärer, sondern vielmehr als konservative oder mitunter gar als verbohrte Bewahrer.
Doch Justitia hatte offenkundig einen anderen Plan mit dem talentierten Bewerber. Wolfgang Thiele wurde also doch Staatsanwalt, obwohl er das Arbeitsrecht ins Visier genommen hatte. Aber mit Fritz Bauer gab es auch ein großartiges Vorbild jenseits der vielen an der Aufklärung von NS-Verbrechen wenig interessierten Strafverfolger.Gerade diesem Thema hat sich der Gießener Jurist ebenfalls intensiv gewidmet, hat zahlreiche Gedenkstätten besucht und immer wieder auch das Gespräch mit Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugen geführt. Dabei hat ihn insbesondere die Frage umgetrieben, wie er sich wohl selbst als Mensch wie als Jurist zwischen 1933 und 1945 verhalten hätte. Wissenschaftlich hat sich Wolfgang Thiele zudem eingehend mit der Geschichte der Staatsanwaltschaft beschäftigt und an der Wanderausstellung „Verstrickung der Justiz in das NS-System 1933 -1945“ mitgewirkt, die unter anderem im Gießener Amtsgericht zu sehen war.
„Wir freuen uns sehr über diese großzügige Bücherspende, die vor allem für unsere Studierenden von sehr großem Nutzen ist“, so Prof. Dr. Sascha Feuchert.
Berichte zur Bücherspende sind am 19. Januar in der Gießener Allgemeinen Zeitung erschienen sowie am 20. Januar im Gießener Anzeiger. Zum Bericht im Gießener Anzeiger gelangen Sie hier.