am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Livia Bitton-Jackson: 1000 Jahre habe ich gelebt. Eine Jugend im Holocaust.

Viele Bücher sind bereits zum Thema Holocaust erschienen und doch gelingt es der Autorin Livia Bitton-Jackson, deren Geburtsname Elli L. Friedmann ist, mit der Darlegung der eigenen Holocausterfahrungen im Jugendalter, den Schrecken und die Grausamkeit der nationalsozialistischen Mordmaschinerie auch Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen, mit einer Sprachgewalt, die oftmals nur schwer zu ertragen ist.

Livia Bitton-Jackson spricht in ihrem Buch gezielt "die dritte und vierte Generation" (S. 12) an, um "eine Lektion der Geschichte [...] zu verstehen[, welche] von großer Bedeutung für die Zukunft ist." (S. 12). "[Denn es handelt] sich beim Holocaust weder um eine Legende noch um ein Hollywood-Drama [...]." (S. 12).

Bitton-Jackson, die in der Slowakei geboren und im Mai 1944 mit 13 Jahren nach Auschwitz deportiert wurde, schildert hierbei ihre eigenen Erlebnisse und ihren Weg aus der Vernichtungsmaschinerie.

Dass sie die Selektion in Auschwitz lebend übersteht und nicht direkt, wie all die anderen Kinder und Jugendlichen vergast wird, verdankt sie ausgerechnet Josef Mengele, dem für seine grausame und brutale Art bekannten Lagerarzt in Auschwitz, auch Todesengel genannt. Und alles nur, weil sie "goldene[s ] Haar" (S. 72) hat! Als er nach ihrem Alter fragt und sie dieses mit "dreizehn" (S. 73) beantwortet, erwidert er: "Du bist groß für dein Alter. Ist das deine Mutter? [...] Geh[t]. Und merk dir: Von heute an bist du sechzehn." (S. 73).

In diesem Augenblick möchte man das Buch gerne beiseitelegen und hoffen, dass  dies nur einen allzu bösen Scherz am Rande ihrer Erzählung darstellt, denn diese Tatsache erscheint unbegreiflich und man möchte es schlichtweg nicht glauben. Josef Mengele, der Todesengel höchstpersönlich, soll dafür gesorgt haben, dass Elli und ihre Mutter nicht vergast wurden?!

Und doch: Livia Bitton-Jackson hat den Holocaust als eines von nur sehr wenigen Kindern und Jugendlichen überlebt und wurde nicht wie so viele andere in den Gaskammern der Konzentrationslager vergast und anschließend in den eigens für die schnelle Beseitigung der Leichen errichteten Krematorien verbrannt.

Bitton-Jackson hat ein Buch geschrieben, welches das Ausmaß des Schreckens durch akribische Niederschrift ihrer Erinnerungen behandelt und sämtliche Stationen ihrer Schreckensodyssee wiedergibt. Diese beginnt mit dem Einmarsch der Deutschen, führt sie und ihre Mutter nach Auschwitz und endet letztlich mit ihrer Befreiung in einem bayrischen Badeort namens Seeshaupt.

Doch es sind nicht nur die großen Stationen ihres Martyriums, welche sich beim Leser fest im Gedächtnis verankern. Es sind auch die kleinen, oftmals unscheinbar wirkenden Momente, wie etwa der Verlust ihres neuen Fahrrades, welche dem Leser die Person Elli Friedmann näherbringen. Denn bereits in diesen Augenblicken wird Elli ihrer Würde beraubt und muss ohnmächtig dabei zusehen, wie sich die gesellschaftlichen Werte und Normen unter der Herrschaft der Deutschen verändern und aus Freunden Feinde werden.

In ihrem Buch schildert sie nicht nur die brutale und unmenschliche Beraubung der eigenen Identität durch das Schreckensregime der NS-Diktatur, sondern sie erzählt auch eine Geschichte, die vom Zusammenhalt einer Mutter und ihrer Tochter handelt, welche gezwungen sind, sich unmenschlichen Bedingungen zu stellen. So müssen sie ihren anfänglichen Mutter-Tochter-Konflikt begraben und gemeinsam ums tägliche Überleben in Auschwitz kämpfen sowie unzählige Transporte in Viehwaggons überstehen, die sie bis weit an die Grenzen des Möglichen und Ertragbaren bringen. Doch zusammen überstehen sie dies und kehren nach Šamorín (Slowakei) zurück. Von ursprünglich 100 jüdischen Familien aus Šamorín, welche mehr als 500 Personen zählten, überleben insgesamt nur 36 Personen den Holocaust. Elli, ihre Mutter und ihr Bruder sind drei von ihnen.

Mit diesem Buch, das in Deutschland bereits in dritter Auflage erschienen ist, hat Bitton-Jackson eine bemerkenswerte Biografie geschaffen.

Von Hannah Clappier

 

Livia Bitton-Jackson: 1000 Jahre habe ich gelebt. Eine Jugend im Holocaust.

Verlag: Urachhaus, 3. Aufl. 2012
224 Seiten, 12,50 Euro
ISBN: 3825174522


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