Uni-Forum, 27.06.2001: "Wenn sich Vergangenes zunehmend mit Nacht bedeckt..."
	  "Wenn sich Vergangenes zunehmend mit Nacht bedeckt..." -   Kommunikationsdesignerin Silke Berg hatte sich auf die Suche nach jenen   schwer auffindbaren Spuren begeben, die das Ghetto Lodz, das zwischen   1940 und 1944 bestand, hinterlassen hat - in der Stadt Lodz, in der   heutigen jüdischen Gemeinde und vor allem in den Erinnerungen der   wenigen überlebenden Menschen. Als höchst subjektives Protokoll ihrer   Spurensuche, die sich vor allem in Gesprächen mit Zeitzeugen vollzog,   liegt nun ein Bildband gleichnamigen Titels vor.
 
 Das  zweisprachige Buch, das auf der Grundlage einer 1999 an der JLU und  ein  Jahr später auch an der Partneruniversität der JLU in Lodz gezeigten   Ausstellung entstanden ist, stellte die Autorin zu Beginn des   Sommersemesters im Beisein von JLU-Präsident Prof. Dr. Stefan Hormuth,   Prof. Dr. Erwin Leibfried und Sascha Feuchert von der Arbeitsstelle   Holocaustliteratur am Institut für Neuere deutsche Literatur der JLU,   Dr. Klaus Konrad-Tromsdorf, Geschäftsführender Direktor der Ernst-Ludwig   Chambré-Stiftung zu Lich, Prof. Jakob Altaras, Vorsitzender der   Jüdischen Gemeinde Gießen, sowie Monika Graulich, Sprecherin der   Regionalgruppe Mittelhessen des Vereins gegen Vergessen für Demokratie,   vor.
 
 Prof. Hormuth, der seinerzeit die Ausstellung in Polen  eröffnet hatte,  erinnerte daran, dass es auch kritische Stimmen gegeben  habe. "Nicht  immer ist das, was Zeitzeugen sagen, bequem", heißt es  dazu in seinem  Grußwort zu dem Bildband. Die überwiegende Resonanz auf  die Ausstellung  sei jedoch auch in Polen sehr positiv gewesen. Ein  Pressebericht sei  sogar unter dem Titel erschienen "Wir haben jetzt  eine Chance zu  diskutieren", ergänzte Prof. Leibfried.
 
 Der  Universitätspräsident dankte sowohl der Autorin Berg als auch den   Verantwortlichen der Arbeitsstelle Holocaustliteratur dafür, dass sie   "einen substanziellen Beitrag für die Partnerschaft" geleistet hätten.   Und Prof. Altaras bescheinigte Silke Berg, "etwas sehr Edles getan" zu   haben. Die Tatsache, dass eine solche Publikation von deutscher und   nicht von jüdischer Seite ausgeht, wollte er gar als "eine Art von   Wiedergutmachung für das, was geschehen ist" gewertet wissen.
 
  Silke Berg, Angestellte in der Römisch-Germanischen Kommission des   Deutschen Archäologischen Instituts und Mitarbeiterin im Hessischen   Staatsarchiv Darmstadt, berichtete von ihrer persönlichen Annäherung an   das Thema. Das Thema Judentum und die Geschichte des  Nationalsozialismus  hätten sie während ihres Studiums zur  Kommunikationsdesignerin  begleitet. In dieser Zeit habe sie zudem  ehrenamtliche Pressearbeit für  die Jüdische Gemeinde Gießen erledigt  und Interviews für die  Shoa-Foundation geführt.
 
 Bei der  vorliegenden Publikation gehe es nicht um eine historische  Arbeit,  sondern um visuelle Kommunikation. Es gehe "um Abbilder von  Menschen,  welche Gewalt während des Nationalsozialismus erlebt und um  Orte, an  denen sich diese Dinge abgespielt haben".
 
 "Erinnerung soll  lebendig gehalten und hierfür in eine vermittelbare  Form gebracht  werden", sagt die Autorin, die eben nicht nur für die  Texte  verantwortlich zeichnet, sondern auch die Fotos gemacht und das  Layout  gestaltet hat. Insofern handelt es sich um einen "Versuch,  Erinnerung  über das Geschichtswissen hinaus zu visualisieren und auch  dem  ritualisierten Gedenken eine andere Form entgegenzusetzen".
 
 Das  Buch ist unterteilt in die Abschnitte Geschichte, Orte und Menschen.   Zunächst wird im ersten Teil die Vorgeschichte der Juden in Polen und   in der Stadt Lodz kurz beschrieben. Historische Farbbilder, die von Hans   Gennewein, dem Finanzverwalter der Ghettoverwaltung, aufgenommen   wurden, zeigen die Umstände im Ghetto aus der Sicht eines Täters. Der   zweite Teil des Bandes führt den Betrachter an Hand von   Schwarz-Weiß-Fotos an die Orte des ehemaligen Ghettos wie sie heute   aussehen. Im dritten Teil treten Zeitzeugen in Wort und Bild mit ihren   Erinnerungen in Erscheinung. "Besonders sollten die sogenannten   einfachen Menschen meine Aufmerksamkeit bekommen", berichtet Silke Berg,   deren Geschichten sie aufgezeichnet und deren Gesichter sie in   eindrucksvollen Porträts festgehalten hat. In ihrer eigenen, auf das   Wesentliche reduzierten Bildsprache setzt sie somit genau das um, was   die von ihr im Gespräch auch zitierte Susan Sontag über Fotografien   gesagt hat: "Sie machen eine Vielzahl von Dingen sichtbar, die wir ohne   sie niemals sehen würden."
 
 Der Anhang schließlich erzählt die  Geschichte der jüdischen Familie  Isaak aus Lich, deren Spuren sich im  Ghetto von Lodz verlieren.
 
 Der Bildband von Silke Berg "Wenn  sich Vergangenes zunehmend mit Nacht  bedeckt..." ist im Frankfurter  Bergauf-Verlag erschienen und kostet  29,80 DM. Das Buch ist zugleich  der erste Band der gemeinsamen  Schriftenreihe "Memento", die Dr. Klaus  Konrad-Tromsdorf und Sascha  Feuchert für die Chambré-Stiftung zu Lich  und die Arbeitsstelle  Holocaustliteratur der JLU herausgeben. Die Reihe  soll auf verständliche  Weise in Problemfelder der Geschichte und  Wirkung des Holocaust und der  Literatur über denselben einführen. (chb)  
 
   
	
  
	
	
	
 	Gießener Anzeiger vom 26.04.2001: "Wenn sich Vergangenes zunehmend mit Nacht bedeckt" 
	  Silke Berg stellte in der Uni ihren bemerkenswerten Bildband über das  Ghetto in Lodz vor
GIESSEN (ts). "Sie haben etwas sehr Edles getan", lobte der  Vorsitzende  der jüdischen Gemeinde, Professor Jakob Altaras, die  Buchautorin Silke  Berg, die gestern im Uni-Hauptgebäude ihren Band über  das Ghetto im  polnischen Lodz vorstellte. Und da Lodz die  Partneruniversität der  Giessener Universität ist, drückte auch  Uni-Präsident Professor Stefan  Hormuth seine höchste Anerkennung aus.  
Silke Berg ist als diplomierte Kommunikationsdesignerin der   römisch-germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts   und im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt angestellt. Wie sie bei der   Buchvorstellung ausführte, hat sie sich schon immer stark mit dem   Judentum und der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigt. So   erledigte sie während ihres Studiums die Pressearbeit der jüdischen   Gemeinde in Giessen und führte Interviews für die Shoa-Foundation durch.   In ihrem jetzt vorliegenden zweisprachigen (deutsch-polnischen)   Bildband "Wenn sich Vergangenes zunehmend mit Nacht bedeckt" widmet sie   sich sowohl dem jüdischen Ghetto in Lodz, das von Februar 1940 bis   August 1944 bestand, als auch der jüdischen Gemeinde von Lodz im Jahre   1995. Und wie es sich für eine Kommunikationsdesignerin gehört, hat sie   nicht nur die Texte verfasst, sondern auch Fotos gemacht und das Layout   gestaltet. "Dies ist keine historische Arbeit, sondern es geht um   visuelle Kommunikation, um Abbilder von Menschen, die Gewalt während der   Nazi-Herrschaft erlebt haben", sagte sie. Da sie sich wiederholt mit   Formen der Erinnerung auseinandergesetzt habe, wolle sie mit dieser   Arbeit die Erinnerung über das Geschichtswissen hinaus lebendig halten.   
Im ersten Teil werden die Stadt Lodz und die Geschichte der Juden in   Polen kurz beschrieben. Historische Farbbilder, die von Hans Gennewein,   dem damaligen Finanzverwalter des Ghettos, aufgenommen wurden, zeigen  da  Ghetto aus der Sicht eines Täters. Der zweite Teil des Buches führt  den  Leser anhand von Schwarz-Weiß-Fotos an die Orte des ehemaligen  Ghettos,  wie sie heute aussehen, und im dritten Teil treten Zeitzeugen  in Wort  und Bild mit ihren Erinnerungen in Erscheinung. "Hier werden  sogenannte  einfache Menschen mit ihren Geschichten vorgestellt", so die  Autorin.  Das Erlebte spiegele sich auch in den Porträtfotografien  wider sagte sie  und zitierte Susan Sontag: "Die Fotografien machen eine  Vielzahl von  Dingen sichtbar, die wir ohne sie niemals sehen würden."  Der Anhang des  Buches schildert schließlich die Geschichte der  jüdischen Familie Isaak  aus Lich, deren Spuren sich im Ghetto von Lodz  verloren.  
Uni-Präsident Hormuth ging darauf ein, dass die Publikation auf   Grundlage einer Ausstellung entstanden ist, die bereits 1999 and er   Justus-Liebig-Universität und im Jahr darauf an der Partneruniversität   in Lodz gezeigt worden ist. "Es gab auch kritische Stimmen in Lodz, denn   einige Zeitzeugen äußern sich über Antisemitismus in Polen. Im Großen   und Ganzen ist die Ausstellung aber positiv aufgenommen worden", so   Hormuth.  
Das bestätigten auch die Herausgeber, Dr. Klaus Konrad-Tromsdorf von  der  Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung (Lich) und Sascha Feuchert von der   "Arbeitsstelle Holocaust-Literatur" der JLU. Feuchert wies darauf hin,   dass es sich um den ersten Band der gemeinsam von Chambré-Stiftung und   Arbeitsstelle herausgegebenen Schriftenreihe "Memento" handelt. Der   Leiter der Arbeitsstelle, Professor Erwin Leibfried, lobte das   Engagement der Autorin und nannte die Forschung der Arbeitsstelle   "menschlich nützlich".  
Die Tatsache, dass Publikationen wie die von Silke Berg von deutscher   und nicht von jüdischer Seite ausgehen, wertete Professor Altaras "als   eine Art Wiedergutmachung für das, was passiert ist". "Wer dieses Buch   zur Hand nimmt, kann sich emotional nicht entziehen. Die Spuren des   Ghettos werden dem Vergessen entrissen, und die Würdigung der Opfer   wachgehalten", sagte Regionalsprecherin Monika Graulich vom Verein   "Gegen Vergessen, für Demokratie", der den Druck finanzielle unterstützt   hat.
   
	
  
	
	
	
 	Mitteilungsblatt der Lagergemeinschaft Auschwitz / Freunde der Auschwitzer 2/2001: Menschen - Orte - Dokumente 
	  Eindrucksvolle Spurensuche: Bilder vom Ghetto Lodz 1940-1944 / Bilder  von Orten 1995 / Porträts von Juden in Lodz 1995  
"Bei Reisen in das benachbarte Ausland, hier besonders Polen, erlebte   ich die Geschichte des eigenen Landes durch die Menschen, die mir dort   begegneten, eindringlicher als in Deutschland selber", schreibt Silke   Berg im Editorial des Buches über ihre Spurensuche zum Ghetto Lodz.   Ergebnisse ihrer Nachforschungen hat sie als Diplomarbeit ihrer   Designer-Ausbildung in dem Bild- und Erinnerungsband "Wenn sich   Vergangenes zunehmend mit Nacht bedeckt..." zusammengefasst.  
Vor 1939 war die Jüdische Gemeinde in der polnischen Stadt Lodz mit   ungefähr 233.000 Personen (mehr als 30 Prozent der Gesamtbevölkerung)   die zweitgrößte Europas. 1995, als Silke Berg vor Ort recherchierte,   setzte sich einstmals blühende Gemeinde aus einigen wenigen alten   Menschen zusammen, die größtenteils unter bescheidenen Bedingungen   lebten.  
Im historischen Teil des Buchs wird eingangs die Geschichte der Juden   und insbesondere die der Jüdischen Gemeinde Lodz vor 1939 skizziert.  Die  Strukturen und Funktionsweisen des im Februar 1940 von den  Deutschen  eingerichteten "Ghetto Litzmannstadt" (so der eingedeutschte  Name der  Stadt) erläutert die Autorin prägnant u.a. mit Karten und  historischen  Fotos. Das Großghetto Lodz lag in einem Bezirk, dessen  Infrastruktur  besonders unterentwickelt war (95 Prozent der Häuser  besaßen keine  Toiletten, keinen Wasser- und Kanalanschluß). Zu den  bereits dort  wohnenden 62.000 Jüdinnen und Juden wurden weitere 100.000  aus den  anderen Stadtteilen "zugesiedelt". Hier wurden sie  systematisch für die  deutsche Rüstungswirtschaft durch Zwangsarbeit  ausgebeutet und danach  deportiert und zumeist im Vernichtungslager  Chelmno/Kulmhof, später in  Birkenau, ermordet. Bei der Befreiung der  Stadt Lodz im Januar 1945  durch die Rote Armee hatten 877  Ghetto-Insassen in Verstecken überlebt.  
Silke Berg beschreibt dies in nüchterner Kürze sowie mit   aussagekräftigem Fakten- und Dokumentationsmaterial. Die von der   deutschen Ghetto-Verwaltung aufgenommenen Farbfotos kontrastiert sie im   zweiten großen Abschnitt ihres Buches bewusst mit Schwarz-Weiß-Fotos  der  heutigen Orte, die früher kennzeichnend für das Ghetto waren. Es  stehen  nur noch wenige Gebäude, und lediglich eine einzige Gedenktafel -  an  der ehemaligen Gestapo-Zentrale - erinnert an den früheren  Ghettobezirk.  
"Nach dem Krieg gab es hier in Lodz auch langsam wieder ein jüdisches   Leben, es gab wieder eine Schule, ein Theater usw., aber das Leben war   doch anders, weil es keine intakten Familien mehr gab. Ich bin auch  als  einziger von unserer Familie übriggeblieben", erzählte Froim   Loterspigiel beim Interview. Er ist einer von sechs Männern und einer   Frau , die im dritten Teil des Buches mit eindrucksvollen Fotos und   Zeitzeugenberichten portraitiert werden. Lajb Praszkier ist der einzige,   der auch im Ghetto Lodz war, die anderen kamen erst nach dem Krieg in   die Stadt. "Heue leben zwei in der Gemeinde, die auch das Ghetto   überlebt haben. Sagen wir drei, es kam noch eine Frau dazu, die hatte   sich 40 Jahre nicht zu erkennen gegeben. Voriges Jahr bei den Feiern zur   Befreiung des Ghettos kam sie heraus, berichtet Lajb Praszkier.  
Die eindringlichen Zeitzeugenberichte spiegeln in frappierender Weise   wider, was die Autorin bereits im Editorial konstatiert: "Die   Lebensgeschichten sind in jedem Fall geprägt von Phasen der   Entwurzelung, Flucht, Gewalt und dem Sich-Wieder-Arrangieren-Müssen mit   den neuen Begebenheiten." Klugerweise wurden bei den Interviews die   thematischen Brüche und Wiederholungen belassen, womit ganz natürlich   die Authentizität sowie die nachhaltige Wirkung verstärkt werden.  
Der Anhang schildert die Geschichte der jüdischen Familie Isaak aus  dem  hessischen Lich, deren letzte Spuren auf das Ghetto Lodz verweisen.  
 Silke Berg hat für den Titel ihres Buches ein Zitat aus Ernst Blochs   "Prinzip Hoffnung" gewählt und mit ihrer Spurensuche sowohl inhaltlich   wie von der Gestaltung her ein eindrucksvolles Beispiel der   Erinnerungsarbeit vorgelegt. Es ist als Band 1 der MEMENTO-Reihe   erschienen, Herausgeber sind Sascha Feuchert (Arbeitsstelle   Holocaust-Literatur an der JLU Gießen) und Dr. Klaus Konrad-Tromsdorf   (Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung).  
Hans Hirschman