Alon ist ein Junge, der gerne Bagels isst und Geige spielt. Im Sommer 1943 sitzt er mit seiner Freundin Riwka auf einem Dach und lässt einen Drachen steigen. Für Alon ist dies ein glücklicher Tag in einem ansonsten von Entbehrungen geprägten Leben, denn Alon lebt in einem litauischen Getto. Am liebsten würde er mit dem Drachen in die Freiheit fliegen, doch Riwka hält dagegen und sagt ihrem Freund, dass die wahre Freiheit nicht draußen, sondern im Herzen zu finden sei.
Alle Bewohner:innen des Gettos tragen den gelben Stern an ihrer Kleidung, und wer das große Tor passiert, das von Soldaten in schwarzen Uniformen gebaut wurde, kehrt nicht wieder zurück. So wie Alons Vater, der schon seit einiger Zeit fort ist. Die Wohnungen derer, die durch das Tor gegangen sind, werden von Menschen mit leblosen Augen, die an tote Fische erinnern, geplündert.
Dann werden auch Riwka und ihre Familie abgeholt, zurück bleibt nur ihr kleiner Hund. Im Herbst, als die gelben Blätter von den Bäumen fallen, gehen schließlich auch Alon und seine Familie durch das Tor. Wenig später gibt es ein großes Durcheinander, jemand schreit, ein anderer betet. Schließlich gibt es einen letzten lauten Knall – und alles wird still. Alon möchte die Augen öffnen, doch seine Lider sind zu schwer. Tage, Monate, Jahre vergehen, und Alons Körper verwandelt sich unter Schnee und Regen in einen kleinen, harten und glatten Stein.
Viele Jahre später findet ein junges Mädchen den Stein, hebt ihn auf und nimmt ihn mit. Ihre Großmutter erkennt den Stein ihrer Enkelin, küsst ihn und legt ihn auf einen Grabstein, zu seiner Familie. Anschließend erzählt die Großmutter, in der Riwka zu erkennen ist, ihrer Enkelin die Geschichte von Alon und den anderen Gettobewohner:innen. Für den zu Stein gewordenen Alon bedeutet diese Rückkehr ein Wiedersehen mit seinen Liebsten: Er entdeckt alle früheren Bekannten, Familienmitglieder und sogar seinen Vater und spürt, wie die Wärme in ihn zurückkehrt.
Am Ende dieses illustrierten Kinderbuchs steht somit nicht der Tod des Protagonisten, sondern das Erinnern und Erzählen von den Menschen und ihren Schicksalen.
Parallel zu Alons Geschichte wird auch die Geschichte von Riwkas kleinem Hund und einer bösen Krähe dargestellt, die Leben und Tod symbolisieren.
Erzählt wird das Geschehen aus der Ich-Perspektive Alons, was die Identifikation für jüngere Lesende erleichtert. Der Ton des Kinderbuches ist unbefangen, der Ich-Erzähler beobachtet aufmerksam und verwendet keine emotional aufgeladene Sprache. Zudem sind die Sätze meist kurz, prägnant und leicht verständlich.
Illustriert wurde das Kinderbuch von Inga Dagilè. Sind die Bilder anfangs noch fröhlich und leicht gezeichnet, so werden sie in der Mitte sehr viel düsterer. Zum Ende hin wandeln sich die Bilder in ein fast schon trügerisches Gelb, um dann wieder in hellen und versöhnlichen Farben zu enden. Die klare Zeichnung der Mimik lässt schnell erkennen, wie sich die Figuren fühlen. Eine weitere Ebene nimmt auch die Schriftgröße ein, an der sich ebenso die jeweiligen Emotionen ablesen lassen.
„Als die gelben Blätter fielen“ ist ein Gesamtkunstwerk, das viele Gesprächsanlässe schafft.
Marius Marcinkevičius/Inga Dagilè: Als die gelben Blätter fielen
Hamburg: Dressler, 2024
56 Seiten, 14 Euro
ISBN: 978-3-7513-0118-3