am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Jürg Amann: Der Kommandant

Jürg Amann: Der Kommandant

Eine Absage an die Literatur mit den Mitteln der Literatur - auf diese knappe Formel ließe sich der innere Widerspruch von Jürg Amanns "Der Kommandant" zuspitzen. Wie Amann in seiner abschließenden editorischen Notiz bekennt, ist der Text in Reaktion auf Jonathan Littels "Die Wohlgesinnten" entstanden, genauer gesagt aus Amanns Unbehagen. "Angesichts der Wirklichkeit", schreibt Amann kategorisch, "ist alles Erfinden obszön" (107). Ein Satz, der keine Grenzen, keine Abstufung kennt und letztlich Literatur an sich den Boden entzieht, sei es Literatur über Auschwitz oder über andere Abgründe der Menschheitsgeschichte. Dass sich dieser Satz nun am Ende eines Werkes über Auschwitz findet, irritiert auf den ersten Blick und bleibt auch bei genauerem Nachdenken verwirrend, wenn nicht gar problematisch, zumal Amann weiter schreibt: "Vor allem da, wo man die Wirklichkeit haben kann." Die Wirklichkeit sieht er, und spätestens hier wird es problematisch, in den autobiographischen Aufzeichnungen des einstigen Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, die dieser nach dem Krieg in polnischer Haft niedergeschrieben hat. Aus diesem Text hat Amann ein "Monodrama" destilliert, indem er Höß` Text strukturiert und verknappt und nur Minimales geändert hat. So habe er den Text auf seine "Essenz zugespitzt". Ist das aber Wirklichkeit und wenn ja, welche bzw. wessen? Amann sieht in den Aufzeichnungen von Höß vor allem eine "naive Selbstdenunziation", übersieht dabei aber - zumindest schreibt er nichts darüber - den Selbstbetrug von Höß, die Lügen, die zielgerichtete Selbstkonstruktion. Kurzum: Der Fiktionalisierung von Littel, so problematisch oder geschmacklos sie auch immer sein mag, setzt Amann die zugespitzte pseudoreale Fiktion eines einzelnen Täters entgegen. Damit erhebt er die Täterfiktion in einen Rang, die ihr nicht zukommt. Bei aller Kritik am verfehlten Anspruch Amanns und an seinem eingangs zitierten Diktum, eröffnet das "Lesedrama" einen interessanten und auch neuen Zugang zu den Aufzeichnungen von Höß (eben weil Amann mit literarischen Mitteln arbeitet). Dass es hier aber um Konstruktionen von Wirklichkeiten geht, durch Höß, aber auch durch Amann, dürfte jedem Leser, der andere Texte über Auschwitz gelesen hat, sofort ins Auge springen.


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