am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Exkursion nach Lodz im Rahmen des deutsch-polnischen Seminars zu „Hunger, Zwangsarbeit, Tod: Das Getto Lodz/Litzmannstadt“ vom 24. bis 28. Mai 2025

Eine Kooperation der Arbeitsstelle Holocaustliteratur der JLU mit dem Institut für Germanistik der Universität Łódź

Im Sommersemester 2025 organisierte die Arbeitsstelle Holocaustliteratur (AHL) der Justus-Liebig-Universität Gießen in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Germanistik der Universität Łódź erneut eine Studienfahrt nach Łódź. Diese fand vom 24. bis 28. Mai 2025 im Rahmen eines deutsch-polnischen Seminars statt und wurde von Prof. Sascha Feuchert (AHL), Felix Luckau (AHL) und Prof. Krystyna Radziszewska (Universität Łódź) geleitet.

Die Ziele der fünftägigen Bildungsfahrt waren zum einen die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Getto Lodz/Litzmannstadt als einem Ort nationalsozialistischen Terrors außerhalb der bekannten Lagerkomplexe und zum anderen die Stärkung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit. Um die Teilnehmenden entsprechend vorzubereiten, fand am 10. Mai ein ganztägiger Seminarblock in Gießen statt, bei dem die Geschichte der Stadt Łódź sowie die historische Entwicklung des Gettos thematisiert wurden. Ergänzt wurde das Programm durch ein digitales Zeitzeugengespräch mit Dr. Leon Weintraub, der das Getto Lodz/Litzmannstadt überlebte. Bei einem Nachbereitungstreffen am 14. Juli reflektierten die Teilnehmenden die während der Exkursion gewonnenen Eindrücke und erörterten didaktische und methodische Fragen zur Durchführung solcher Studienreisen in unterschiedlichen Bildungskontexten.

Die Gruppe setzte sich aus Lehramtsstudierenden mit dem Fach Deutsch und Masterstudierenden der Germanistik mit dem Schwerpunkt „Holocaust- und Lagerliteratur“ der JLU sowie Studierenden der Universität Łódź zusammen. Das universitäre Austauschformat wurde durch zwei Gießener Polizeibeamte ergänzt, die im Rahmen einer Kooperation mit dem Polizeipräsidium Mittelhessen unter der Leitung von Polizeipräsident Torsten Krückemeier teilnahmen. Diese Zusammenarbeit soll perspektivisch zu einer „Bildungsallianz für Gedenken und Demokratie“ ausgebaut werden.

Als zentrale Arbeitsgrundlage während der Exkursion diente die polnisch-deutsche Anthologie „‚Ein Wunder, die Hand schreibt noch…‘: Zeugnisse aus dem Lodzer Getto“, herausgegeben von Prof. Krystyna Radziszewska, Prof. Sascha Feuchert, Prof. Hans-Jürgen Bömelburg (JLU) und Dr. Monika Kucner (Universität Łódź). Die Publikation wurde 2025 mit dem Rektorpreis der Universität Łódź ausgezeichnet. Die darin versammelten Texte ermöglichten den Teilnehmenden eine literarisch fundierte Annäherung an Erinnerungsorte, die im heutigen Stadtbild vielfach nur schwer als solche zu erkennen sind.

Die Teilnehmenden der Studienfahrt im Gruppenfoto / Foto: Anika Binsch
Die Teilnehmenden der Studienfahrt im Gruppenfoto / Foto: Anika Binsch

Den Auftakt der Exkursion bildete nach der Ankunft in Łódź eine Stadtführung durch Prof. Radziszewska, bei der sie insbesondere anhand der revitalisierten Fabrikanlagen der Familie Scheibler die industrielle Entwicklung der Stadt seit dem 19. Jahrhundert aufzeigte. 


Die ehemalige Dienststelle der Kriminalpolizei im Getto an der Kościelna-Straße 8. Das Gebäude war im Getto als „Rotes Haus“ bekannt und gefürchtet. / Foto: Jennifer Ehrhardt
Die ehemalige Dienststelle der Kriminalpolizei im Getto an der Kościelna-Straße 8. Das Gebäude war im Getto als „Rotes Haus“ bekannt und gefürchtet. / Foto: Jennifer Ehrhardt

Der zweite Tag widmete sich schwerpunktmäßig der Erkundung des ehemaligen Gettogebiets im Stadtteil Bałuty. An ausgewählten Stationen – darunter das sogenannte „Rote Haus“, welches einst als Sitz der Kriminalpolizei im Getto diente, das Staatsarchiv Łódź, wo heute die Originale der Getto-Chronik aufbewahrt werden, der Bałuty-Ring, ein ehemaliges Schulgebäude sowie ein früheres Krankenhaus – hielten die polnischen Studierenden Vorträge über die historische Bedeutung der jeweiligen Orte. Nachmittags setzten sich die Studierenden in deutsch-polnischen Tandems mit Texten aus der Anthologie „‚Ein Wunder, die Hand schreibt noch…‘: Zeugnisse aus dem Lodzer Getto“ auseinander, die sich mit dem Ankommen im Getto sowie dem dortigen Alltag befassten.


Gedenkort Radegast – Sechs symbolische Grabsteine erinnern an die Opfer des Holocaust / Foto: Jennifer Ehrhardt
Gedenkort Radegast – Sechs symbolische Grabsteine erinnern an die Opfer des Holocaust / Foto: Jennifer Ehrhardt

Am dritten Tag besuchte die Gruppe zunächst den jüdischen Friedhof in Łódź, der zu den größten erhaltenen seiner Art in Europa zählt, sowie die Gedenkstätte am ehemaligen Bahnhof Radegast. Dieser diente während der NS-Zeit als zentraler Umschlagplatz für Deportationen in das und aus dem Getto. Die Eindrücke des Vormittags wurden anschließend in Arbeitsgruppen vertieft, in denen Texte zur Zwangsarbeit sowie zur Bedeutung der Kultur im Getto diskutiert wurden.


Studientag am Centrum Dialogu im. Marka Edelmana – Prof. Sascha Feuchert führt die deutsch-polnische Seminargruppe durch den „Park der Überlebenden“ (Park Ocalałych) / Foto: Jennifer Ehrhardt
Studientag am Centrum Dialogu im. Marka Edelmana – Prof. Sascha Feuchert führt die deutsch-polnische Seminargruppe durch den „Park der Überlebenden“ (Park Ocalałych) / Foto: Jennifer Ehrhardt

Am vierten Seminartag besuchten die Studierenden das dem jüdischen Widerstandskämpfer Marek Edelmann gewidmete Centrum Dialogu. In einem Vortrag von Joanna Podolska, die das Zentrum bis 2024 leitete, erhielten sie Einblicke in das pädagogische Konzept der Einrichtung. Im Mittelpunkt der anschließenden Lektürearbeit standen Textzeugnisse von Józef Zelkowicz, Oskar Rosenfeld und Abraham Łaski. Anhand der Texte konnten die Studierenden die Geschehnisse der schrittweisen „Liquidation“ des Gettos im Jahr 1944 rekonstruieren und mit den zuvor besuchten Erinnerungsorten verknüpfen.


Studierende putzen die Stolpersteine von Nacha (Natalia) Wajntraub, der Mutter von Leon Weintraub, und seiner Schwester Rajzla (Ruśka) Wajntraub / Foto: Anika Binsch
Studierende putzen die Stolpersteine von Nacha (Natalia) Wajntraub, der Mutter von Leon Weintraub, und seiner Schwester Rajzla (Ruśka) Wajntraub / Foto: Anika Binsch

Zum Abschluss der Studienfahrt führte Prof. Sascha Feuchert die Gruppe durch den Park der Überlebenden (Park Ocalałych). Dort besuchten die Teilnehmenden unter anderem das Denkmal für Jan Karski, der als Kurier des polnischen Widerstands frühzeitig über die Verbrechen in den Gettos und Lagern berichtete. Weitere Stationen waren das Mahnmal für das ehemalige sogenannte „Zigeunerlager“, in dem ab 1941 etwa 5.000 Sinti:zze und Rom:nja unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert waren, sowie das frühere Wohnhaus von Dr. Leon Weintraub.


Wir danken der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Universität Łódź, den DAAD-Ostpartnerschaften, der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu Lich, dem Förderverein der Arbeitsstelle Holocaustliteratur sowie dem Ehepaar Chris und Volker Sima (Fernwald) herzlich für ihre großzügige Unterstützung. Unser besonderer Dank gilt auch der engagierten Seminargruppe und den beteiligten Polizeibeamten. Wir freuen uns darauf, das Seminarformat in den kommenden Jahren weiterzuführen!


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