am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

′Ein ungeheuer wichtiges Werk′

Dr. Wolf Kaiser stellte am 17. November 2022 im Jugend- und Kulturzentrum (JOKUS) der Stadt Gießen im Rahmen einer beeindruckenden Lesung von Pascal Thomas sowie im Gespräch mit Prof. Dr. Sascha Feuchert seine Anthologie „Der papierene Freund. Holocaust-Tagebücher jüdischer Kinder und Jugendlicher“ vor

Eine Kooperation des Jugendbildungswerks und der DEXT-Fachstelle der Universitätsstadt Gießen mit dem Projekt Extremismusprävention von Arbeit und Bildung e. V. Marburg, dem Netzwerk für politische Bildung, Kultur und Kommunikation e. V. und der Arbeitsstelle Holocaustliteratur

„Wir brauchen Freunde, ein intimes Gegenüber, um zu überleben. Was aber, wenn in Krisensituationen kein guter Freund erreichbar ist und die Krise auch darin besteht, alleine zu sein, sich vor Verfolgung verstecken und fliehen zu müssen?“, so die Einleitung von Prof. Dr. Sascha Feuchert in das Gespräch mit dem Herausgeber Dr. Wolf Kaiser. „Dann“, so führte Feuchert weiter aus, „besteht die Möglichkeit, sich einem papierenen Freund zuzuwenden, einem Tagebuch, das Zeugnis für einen selbst ablegt, wenn das eigene Leben beendet und geraubt wird“.
Dr. Wolf Kaiser, Historiker und ehemaliger Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, hat in seiner Anthologie „Der papierene Freund. Holocaust-Tagebücher jüdischer Kinder und Jugendlicher“ 30 solcher „Textdenkmäler“ zusammengetragenen. Das Werk, das im Mai 2022 als zwölfter Band der gemeinsamen Schriftenreihe der Arbeitsstelle Holocaustliteratur und der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung im Metropol Verlag erschienen ist, stellte er nun am vergangenen Donnerstagabend im Rahmen einer innerhalb der Veranstaltungsreihe „Erinnern, mahnen, wachsam sein“ organisierten Lesung im Jugend- und Kulturzentrum der Stadt Gießen vor. Die Anthologie versammelt Auszüge aus in neun Sprachen verfassten Tagebüchern von jüdischen Kindern, Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen, die während des Holocaust Halt im Schreiben suchten, und veröffentlicht sie erstmals in deutscher Sprache. 

In einem Gespräch mit Sascha Feuchert über die Genese des Buches erklärte Wolf Kaiser, dass ihn vor allem beeindruckt habe, „wie die jungen Schreiber ihre Erfahrungen, die sie machen mussten, beschreiben und reflektieren, aber auch, wie aktiv sie sich damit auseinandersetzen“. Bei der Zusammenstellung der Tagebücher sei es ihm wichtig gewesen, möglichst viele dieser auch geografisch unterschiedlichen Erfahrungen einzufangen. Dass sie „gut geschrieben“ seien, sei zwar ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium für die Aufnahme der Auszüge in den Band gewesen. Dennoch könnten sich einige der Texte in ihrer literarischen Qualität durchaus mit dem wohl bekanntesten papierenen Freund, dem Tagebuch der Anne Frank, messen lassen, so seine Einschätzung. 

Die anschließende Lesung durch den Schauspieler Pascal Thomas vom Stadttheater Gießen bestätigte dies eindrucksvoll: Die Bandbreite der Texte reichte von naiven Notizen von Kindern, die nicht wissen, was ihnen bevorsteht, bis hin zu Niederschriften von Jugendlichen, die unter dem Eindruck der schrecklichen Realität ihres bevorstehenden Todes eine große Reife und Klarsichtigkeit beweisen. Es finden sich zudem auch humorvoll und lebhaft geschilderte Alltagszenen in den Tagebüchern. So bringen die unterschiedlichen Zeugnisse in ihrer Zusammenschau die ganz besonderen Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen auf das Geschehen zum Ausdruck, die vor allem durch die „Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Empfindungen und Gedanken in dieser Situation“ geprägt sind, wie Kaiser erklärte.

Im abschließenden Gespräch mit den Besucher:innen der Veranstaltung beantwortete Herausgeber Wolf Kaiser eine Vielzahl von Fragen zu seinem Anliegen mit dem Projekt und zu seiner Vorgehensweise bei der Auswahl der Texte sowie zu möglichen Hürden bei der Übersetzung und Veröffentlichung der privaten und sehr persönlichen Texte. 

Ein ausführlicher Bericht zur Veranstaltung ist im Gießener Anzeiger erschienen. Den Beitrag finden Sie hier.

Weitere Informationen zum Buch sowie eine Bestellmöglichkeit finden Sie auf den Seiten des Metropol Verlages hier.

Wolf Kaiser: Der papierene Freund. Holocaust-Tagebücher jüdischer Kinder und Jugendlicher.
Berlin: Metropol, 2022. 607 Seiten.
ISBN: 978-3-86331-640-2, 39,00 Euro.


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