am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Markus Wegewitz: Antifaschistische Kultur. Nico Rost und der lange Kampf gegen den Nationalsozialismus 1919-1965.

Im Zentrum der Studie von Markus Wegewitz steht der kommunistische Journalist Nico (Nicolaas) Rost (1896-1967), an dessen Leben eine Geschichte der antifaschistischen Kultur mit transnationalen Elementen nachgezeichnet wird. Rost übersetzte deutsche Literatur ins Niederländische und Belgische und war zeit seines Lebens publizistisch tätig – nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau war er eine zentrale Figur in dem 1955 gegründeten Comité International de Dachau (CID) und trug maßgeblich zur Gestaltung und Errichtung der Gedenkstätte bei.

Wie in den meisten Großstädten gab und gibt es einen Ort, an dem sich die Künstler:innen, Schriftsteller:innen, Journalist:innen oder, ganz allgemein gesagt, die Kulturschaffenden ihrer Zeit trafen. Neben dem wichtigen Aspekt des Netzwerkens waren solche Orte auch Keimzellen für Aktivismus und Politisierung. In den zwanziger Jahren verkehrte Rost in den publizistischen Kreisen rund um das Romanische Café in Berlin. Hier traf er auf Menschen, die ihn noch lange begleiten und auf unterschiedliche Weise beeinflussen sollten, so etwa Egon Erwin Kisch, der Rost maßgeblich in seinem Reportagenstil geprägt habe. Kisch sei jedoch nicht der einzige Journalist gewesen, an dem sich Rost auf seinem Weg vom Schriftsteller zum „kommunistischen Journalisten“ (S. 90) orientierte. Seiner Überzeugung nach sollte Journalismus schlicht die Wahrheit darstellen, ohne Übertreibungen, und mit einem Anspruch auf wissenschaftliche Überprüfbarkeit auftreten.

In der Zeit der Weimarer Republik begann und endete Rosts Entwicklung vom Literaturkritiker, Übersetzer und Schriftsteller hin zum kommunistischen Journalisten. Das Ende der persönlichen Politisierung fiel mit dem der Weimarer Republik zusammen. Für Rost blieb das Deutschlandbild, das er sich in dieser Zeit geschaffen hatte, stets ein Ideal: ein Deutschland, das starke Einflüsse der deutschen Romantik und der Weimarer Klassik enthält und durch einen „sozialistisch deklarierten Humanismus“ (S. 33) mit kommunistischen Einflüssen ergänzt wird. Wegewitz‘ Studie zeigt, dass diese Einflüsse Rosts Handeln sein restliches Leben begleiten sollte.

Rosts kultureller Widerstand und antifaschistisch-humanistischer Einfluss eignen sich besonders gut, um eine Kulturgeschichte des Antifaschismus zu zeichnen. Die Stärke liegt hier darin, dass es eben nicht um einen idealtypischen Intellektuellen geht, dessen Name, Wirken und Ideen heute einer breiteren Masse bekannt sind. Es geht um einen Menschen, der aus einer Überzeugung heraus angetrieben wurde und aus dieser heraus gehandelt hat. Dies spiegelt sich in den verfassten Artikeln, den unpublizierten Fragmenten sowie in seiner Übersetzungsarbeit. So war Rost etwa Übersetzer der Werke von Anna Seghers oder Wolfgang Langhoff.

Wegewitz verliert dabei die Geschlechterrollenverteilung nicht aus den Augen und würdigt die stille und implizite Arbeit von Schriftstellerfrauen. Ohne ihre politische Arbeit, die meist vergessen wird und sich im Hintergrund abspielte, hätten ihre Partner die intellektuelle Arbeit im Exil nicht leisten können. So wird auch immer wieder die Rolle von Edith Rost beleuchtet und gewürdigt.

Bereits kurz nach der Machtübernahme zog sich das Netz der Nationalsozialisten enger, und es kam schon Ende Februar 1933 zu einer Durchsuchung von Rosts Wohnung, bei der zahlreiche Bücher, Artikel und Manuskripte beschlagnahmt wurden. Er wurde auch kurz in das Konzentrationslager Oranienburg inhaftiert. Dies zwang Rost zur Rückkehr in die Niederlande, wo es für ihn ab 1940 auch nicht mehr sicher war. Schließlich fand er einen Weg, seine kulturpolitische Arbeit in Belgien fortzusetzen. Im Mai 1944 wurde er letztendlich doch ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert.

Das wohl bekannteste Werk Rosts ist sein als Tagebuch inszenierter Erinnerungsbericht „Goethe in Dachau“, der sich ebenfalls in die antifaschistisch-humanistische Traditionslinie Rosts einordnen lässt. Seine privilegierte Stellung als Hilfsschreiber im Revier ermöglichte ihm die geheimen Aufzeichnungen, die die Grundlage dieser Studie bilden. Das Werk durchziehe eine „nachträgliche Sinngebung der moralischen Ausnahmesituation“ (S. 148) und lässt sich als Ausgangspunkt für das Selbstverständnis Rosts in der Nachkriegszeit verstehen: „In den als Tagebuch deklarierten Aufzeichnungen mischen sich die Erfahrungen des Konzentrationslagers mit Interpretationen antifaschistischer Kultur der Nachkriegszeit“ (S. 154). In die Überarbeitung der Notizen mischen sich Rosts Erwartungen an die Nachkriegszeit.

Das Hauptmotiv seiner Arbeit ist die Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialismus und die Verbreitung demokratisch-humanistischer Literatur. Seine kommunistisch geprägte Biographie erleidet hier erneut einen Bruch, seine Arbeit wird von der DDR nicht nur nicht anerkannt, er wird auch aus der DDR ausgewiesen. Eine Ernüchterung stellt sich ein, die Rost für den Rest seines Lebens begleiten soll, er wird zu einem Außenseiter im sozialistischen Milieu.

Dies sollte sein politisches Engagement jedoch nicht schmälern, mit dem CID fand Rost neue Möglichkeiten, sich für sein Ideal einzusetzen. Die Überreste des Konzentrationslagers Dachau drohten aus dem Stadtbild zu verschwinden und mit ihnen auch die Erinnerung an die Verbrechen. Es bildete sich eine Gruppe aktiver Überlebender, für die die Beschäftigung mit dem Konzentrationslager Dachau zu einem neuen Lebensinhalt wurde. Die Vermittlung des Wissens um Konzentrations- und Vernichtungslager war für Rost ein antifaschistischer Auftrag für die Nachkriegsgesellschaft, den er zu erfüllen suchte.

Wegewitz gelingt die Parallelführung von Kulturgeschichte und Biographie. Beide Elemente überlappen sich und sind nicht immer trennscharf zu unterscheiden. Dies verdeutlicht die Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft und zeigt, wie ein Leben, das zwar von einer Art Scheitern durchzogen zu sein scheint, trotzdem produktiv einem Ideal folgen kann. Die Studie ist eine wichtige Erinnerung an die antifaschistischen Überlebenden und ihr unermüdliches Ringen in der Nachkriegszeit.

Von Sandra Binnert (Arbeitsstelle Holocaustliteratur, JLU Gießen)

Markus Wegewitz: Antifaschistische Kultur. Nico Rost und der lange Kampf gegen den Nationalsozialismus 1919-1965
Reihe: Buchenwald und Mittelbau-Dora – Forschungen und Reflexionen; Bd. 5
Göttingen: Wallstein Verlag, 2023
471 Seiten, 42 Euro
ISBN 978-3-8353-5366-4


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