am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in Polen 1944-1947. Berichte der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission

Dokumentation und Aufklärung

Die Beschäftigung mit frühen Dokumentationsanstrengungen der nationalsozialistischen Verbrechen hat in den letzten Jahren in der Forschung eine gewisse Konjunktur, angefangen mit dem bekannten Untergrund-Archiv im Warschauer Getto, über die zahlreichen Jüdischen Historischen Kommissionen in den befreiten Ländern und in den Lagern für Displaced Person im besetzten Deutschland bis hin zu Einzelinitiativen wie die Interviews, die David Broder mit Überlebenden geführt hat. Mit dem von Frank Beer, Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebenen Band liegt nun auch eine Reihe von Publikationen, die aus solchen Anstrengungen hervorgegangen sind, endlich erstmals auf Deutsch vor.

Die Herausgeber haben aus den insgesamt 39 veröffentlichten Titeln der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen zwölf für ihre Edition ausgewählt. Allen Werken haben sie ein kurzes Vorwort vorangestellt, in dem sie über deren Hintergrund und über die Verfasser informieren; ein zurückhaltender Kommentar erläutert zentrale Begriffe und Ereignisse sowie manche der erwähnten Personen. So sind nun dem deutschen Lesepublikum lange verborgene wichtige Zeugnisse und Dokumentationen zugänglich, die neben bekannten Themen wie dem Warschauer Getto-Aufstand vor allem nach wie vor weithin unbekannte Lager und Phänomene behandeln: die Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska und Skarżysko-Kamienna, die Verfolgung und Ermordung der Juden in Żółkiew oder aber die Spuren der Vernichtung in Treblinka und der Umgang mit ihnen unmittelbar nach dem Krieg.

Die Autoren dieser frühen Zeugnisse, die vielfach im Widerstand gegen die deutschen Verfolger aktiv und auch in der Dokumentation der NS-Verbrechen schon während ihres Geschehens engagiert waren, verfolgten mit ihrer Arbeit mehrere Absichten: Erstens ging es ihnen vor allem um eine Dokumentation des Holocaust sowie um das Bewahren des Andenkens an das Leben, das Leiden und an den Widerstand der Verfolgten. Zweitens verbanden sie dies mit dem unbedingten Willen zur Aufklärung, damit es sich nicht wiederhole. Dazu gehörte auch drittens eine Anklagehaltung, denn die Verantwortlichen und ihre Vollstrecker lebten noch und die weitere Entwicklung war in den ersten Nachkriegsjahren durchaus ungewiss. „Jede neue Veröffentlichung“, schreibt Filip Friedman über die gegenwartsbezogene Motivation, „schlägt einen weiteren Nagel in den Sarg dieser Religion des Hasses und der Ideologie des Völkermordes“ (S. 32). Sein Werk über „Die Vernichtung der Lemberger Juden“ nennt er daher auch eine „monografische Anklageschrift“ (ebd.).

Der Leser hält mit dieser Edition ein wichtiges Buch in den Händen, das vieles in sich vereint: Zu wenig bekannten Lagern und Ereignissen erschließt es wichtige Textzeugnisse, die durch ihre Unmittelbarkeit und das Ringen von Sachlichkeit mit Ergriffenheit einen in mancher Hinsicht anderen, gewissermaßen direkteren Zugang bieten als viele später entstandene Werke. Überdies legt es zentrale Wurzeln der Holocaustforschung frei, denn die Autorinnen und Autoren der Jüdischen Historischen Kommission führten ihre Arbeit entweder am Jüdischen Historischen Institut in Warschau oder aber in Paris, New York oder Jerusalem fort – lange bevor etablierte Forscher an den Universitäten sich dem Thema zuwandten.

Von Markus Roth

 

Frank Beer/Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.): Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in Polen 1944-1947. Berichte der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission.

Verlag: Verlag Dachauer Hefte und Metropol Verlag 2014
652 Seiten, 29,90 Euro
ISBN: 978-3-86331-149-0


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