am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Bericht zur Tagung "Den Opfern einen Namen geben"

04.07.2016

Von Markus Roth

Berlin, 29. Juni 2016

"Den Opfern einen Namen geben. Gedenken und Datenschutz im Zusammenhang mit der öffentlichen Nennung der Namen von NS-Opfern in Ausstellungen, Gedenkbüchern und Datenbanken"

Eine Veranstaltung der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Stiftung Topographie des Terrors in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv

Im Spannungsfeld zwischen einem würdigen und nach Möglichkeit auch individuellem Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgungspolitik auf der einen Seite und deren postmortalen Persönlichkeitsrechten sowie den Interessen der Überlebenden und der Angehörigen auf der anderen Seite bewegen sich zahlreiche Einrichtungen und Initiativen. Diesen Hilfestellung in der Beantwortung der damit verbundenen rechtlichen und ethischen Fragen an die Hand zu geben, war vorrangiges Ziel der eintägigen Veranstaltung am 29. Juni 2016 in der Topographie des Terrors in Berlin. Geplant ist seitens der Veranstalter an, die Vorträge und Diskussionsbeiträge auch als Buch zu publizieren.

Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, formulierte einleitend die Problematik, die Anlass für die Veranstaltung war, und wies zudem darauf hin, dass auch die zugrundeliegenden Akten – Krankenakten der sogenannten Heil- und Pflegeanstalten zum Beispiel – in einem Unrechtsstaat entstanden sind und damit ganz besondere Fragen und Probleme aufwerfen.

Die folgenden fünf Beiträge widmeten sich in erster Linie den rechtlichen Aspekten und richteten dabei hauptsächlich den Blick auf den Umgang mit den Namen der Opfer des nationalsozialistischen Krankenmords – verharmlosend und verschleiernd als ‚Euthanasie‘ bezeichnet. Während im Gedenken an die Ermordung der Juden die Nennung der Namen unumstritten ist, wehren sich im Falle der ‚Euthanasie‘ oder der Zwangssterilisation manche Vertreter von Opferverbänden, Angehörige sowie Überlebende selbst gegen eine Namensnennung, da sie darin eine fortwährende Stigmatisierung sehen beziehungsweise derartige Erfahrungen gemacht haben. Andere sehen gerade in der Namensnennung eine Anerkennung.

Der ehemalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting skizzierte die rechtliche Lage anhand verschiedener Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie der Novelle des Bundesarchivgesetzes. Körting kam zu dem Schluss, dass die gegenwärtige Rechtslage eine Nennung der Namen der Opfer sowie ihrer Lebensdaten, unter Umständen auch der Sterbeorte, kein Problem darstelle. Aus dem sogenannten postmortalen Achtungsanspruch ließe sich, so Körting, sogar ein gewisser Anspruch auf die Namensnennung ableiten. Dies, darin waren sich in den folgenden Diskussionen die Teilnehmer weitgehend einig, gelte aber nicht für die Nennung von Details aus den Krankenakten. Da hier sehr sensible Daten enthalten seien, seien andere Maßstäbe anzulegen.

Das machte auch Michael Hollmann vom Bundesarchiv deutlich, der sich den Darlegungen Körtings anschloss und unterstrich, dass das Bundesarchiv, wie andere Archive auch, bei der Nutzung und Verwertung der Akten nach wie vor Auflagen erteilen müsse, um einen würdevollen und angemessenen Umgang damit sicherzustellen. Dies stellt keine Einschränkung von Forschung dar, da diese nicht auf die Verbindung des Namens mit der jeweiligen Krankengeschichte angewiesen ist, sondern einzelne Fälle auch anonymisiert schildern kann. In der Analyse der Akten aber, darauf verwies eine Diskussionsteilnehmerin, sei der Zugang zu nicht anonymisierten Akten unerlässlich, da sich nur so manche Mechanismen, Wege und Verschleierungen des Krankenmords nachvollziehen ließen. Allerdings zeigt sich in der Praxis ein sehr heterogener Umgang der Archive mit Zugangsbeschränkungen zu den Krankenakten, worauf Robert Parzer in seinem Vortrag eindringlich aufmerksam machte.

Thomas Beddies lenkte in seinem instruktiven Vortrag den Blick auf ein weiteres schwerwiegendes Problem: Der hippokratische Eid erlegt dem Arzt eine Schweigepflicht auf, die über den Tod hinaus bindend ist. Da die Akten aber irgendwann historisch und historisch wertvoll würden, seien mitunter Abwägungen notwendig, in die Faktoren wie der zeitliche Abstand, das Motiv für eine Lockerung der Schweigepflicht und der Umgang mit den enthaltenen Daten einfließen müssten.

Diethelm Gerhold aus der Behörde des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ergänzte die Themenpalette um den Aspekt der Publikationsform, die eine Rolle spielen könnte. Er schloss sich dem bis dahin erzielten Konsens im Umgang mit den Namen und Lebensdaten an, wies aber darauf hin, dass Online-Publikationen andere Maßstäbe erforderten. Bei ihnen seien die dargebotenen Informationen mit allen anderen online verfügbaren Daten verknüpfbar. Sie eröffneten daher eine ganze andere Möglichkeit der Nutzung, die überhaupt nicht mehr kontrolliert werden könne und die in eine falsche Richtung laufen könne. Daher sei es geboten, hier Unterschiede zu machen und zu versuchen, online Hürden einzuziehen, die zumindest die Schwelle zum Missbrauch anheben, auch wenn sie diesen nie ganz ausschließen könnten.

Sowohl in den Beiträgen als auch in Äußerungen aus dem Publikum, dem leider insgesamt kaum Gelegenheit zur Diskussion geboten wurde, wurden über die rechtlichen Aspekte hinaus bereits im Vormittagsblock auch die ethischen Fragen benannt, die vor allem Gedenken und Forschen zum Krankenmord aufwerfen.

Margret Hamm von der Arbeitsgemeinschaft Bund der ‚Euthanasie‘-Geschädigten und Zwangssterilisierten BEZ ergänzte dies, indem sie eindringlich die Sicht Betroffener und ihrer Angehörigen deutlich machte und auf die schmerzhaften Kontinuitäten von Diskriminierung und Stigmatisierung sowie auf die skandalösen und folgenreichen personellen Kontinuitäten in den entsprechenden Behörden und medizinischen Einrichtungen hinwies. Beides zeigte sich sinnfällig 1987 im Bundestag, als dort erstmals die Opfer und Betroffenen der ‚Euthanasie‘ und Zwangssterilisation gehört wurden. Zugleich wurde nämlich ein Professor als Experte gehört, der während der NS-Diktatur als Gutachter für die sogenannten Erbgesundheitsgerichte tätig war und damit in dem pseudorechtlichen Prozess der Zwangssterilisation eine wichtige Rolle einnahm.

Jenseits solcher skandalträchtigen, nunmehr dreißig Jahre zurückliegenden Begebenheiten, und jenseits eines würdigen und notwendigen Gedenkens jedoch bietet die Gegenwart, das wurde immer wieder deutlich, leider immer noch genügend Ansatzpunkte, gegen fortwährende Stigmatisierungen im Alltag, in der Sprache und der Behördenpraxis anzugehen.


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