am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

„Es war unmöglich, dass Nachbarn diese alltägliche Form der Verfolgung nicht mitbekamen“ – Bethan Griffiths war am 7. Februar für einen Vortrag über „Zwangswohnungen in NS-Berlin“ zu Gast an der AHL

14.02.2024

7. Februar 2024

Am vergangenen Donnerstag war die Historikerin Bethan Griffiths zu Gast an der Arbeitsstelle Holocaustliteratur. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e. V. beschäftigt sie sich mit „Zwangswohnungen“ und der antisemitischen Wohnungspolitik in Berlin zwischen 1939 und 1945. Darüber sprach sie auch in ihrem Vortrag in Gießen.

Am 30. April 1939 erließ das NS-Regime das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“, das den Mieter:innenschutz für Jüdinnen und Juden aufhob und es den örtlichen Behörden ermöglichte, sie in Wohnungen mit anderen jüdischen Mieter:innen umzusiedeln. Damit schuf das Gesetz die rechtliche Grundlage für die Konzentration jüdischer Menschen in sogenannten „Judenhäusern“ oder „Judenwohnungen“.

Für die Betroffenen bedeutete das Leben in einer solchen Zwangswohnungen den Verlust der Privatsphäre, meist mussten mehrere Familien und einander unbekannte Personen auf engem Raum zusammenleben. Mehrfache Umzüge innerhalb der Häuser und häufige Wohnungskontrollen durch die Gestapo gehörten für die Bewohner:innen zum Alltag. Die Wohn- und Lebenssituation sei daher von extremer Unsicherheit geprägt gewesen, erklärte Griffiths. So schilderte etwa Gertrud Friedländer: „Unsere Zimmer [wurden] wieder einmal besichtigt u. diesmal werden wir wohl Mitbewohner bekommen; das nimmt man heute nicht mehr so ungern in Kauf, wenn wir nur nicht fort müssen.“ Denn wie sich herausstellen sollte, war dieser von den deutschen Behörden erzwungene Umzug für etwa 50.000 Berliner Jüdinnen und Juden die letzte Vorstufe zur Deportation und Ermordung in den nationalsozialistischen Gettos und Lagern. Nach ihrer Verschleppung wurden die Zimmer von der Gestapo anderen vertriebenen Jüdinnen und Juden zugewiesen.

Als sichtbares Zeichen der Entrechtung und Ausgrenzung standen jene „Judenhäuser“ mitten in der Innenstadt Berlins. „Es war unmöglich, dass Nachbarn diese alltägliche Form der Verfolgung nicht mitbekamen“, betonte Griffiths. Vielmehr habe es eine hohe Denunziationsbereitschaft ihrerseits gegeben, nicht selten seien die Besitztümer der jüdischen Bewohner:innen schon vor ihrer Deportation für eigene Zwecke in Anspruch genommen, führte sie aus.

Obwohl die Zwangswohnungen folglich wichtige Etappen auf dem Lebens- und Leidensweg vieler Jüdinnen und Juden waren und neben Berlin auch in anderen deutschen Städten existierten, ist heute nur wenig über sie bekannt. Einige ihrer Geschichten zu erforschen ist das Ziel des partizipativen Projekts „Zwangsräume“ des Aktiven Museums e. V. und der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin, das gemeinsam mit historisch interessierten Personen und heutigen Bewohner:innen ehemals betroffener Häuser die Geschichte dieser Zwangswohnungen in Berlin erforscht. Wo sich dort „Judenhäuser“ befanden, zeigt die Ausstellung nicht nur mit Plakaten im Stadtraum, sondern auch mit einer digitalen interaktiven Karte, die anhand von 32 Hausgeschichten erzählt, unter welchen Bedingungen Jüdinnen und Juden in den Berliner Zwangswohnungen lebten. Mehr Informationen zur Online-Ausstellung finden Sie hier.

Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei Bethan für die spannenden Einblicke in dieses Projekt bedanken!


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Arbeitsstelle Holocaustliteratur
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