am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Jan Schenck (Hrsg.), Verbrannte Orte e.V.: Verbrannte Orte – Nationalsozialistische Bücherverbrennungen in Deutschland

Bereits ab März 1933, unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgte eine systematische Verfolgung jüdischer, politischer, pazifistischer, oppositioneller oder aus anderen Gründen unliebsamer Schriftsteller:innen, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Publizist:innen, um die freie Meinungsäußerung, die Demokratie, die Vielfältigkeit und die Freiheit generell einzuschränken. Mit der von der „Deutschen Studentenschaft“ sowie weiteren staatlichen Institutionen ausgehenden Aktion „Wider den undeutschen Geist“ wurde ab dem 13. April 1933 dazu aufgerufen, die sogenannte deutsch-jüdische und NS-kritische Intelligenz aus den Hochschulen zu verbannen. Anfang Mai wurden dann die ersten zur Verbrennung bestimmten Bücher systematisch gesammelt und in bisher 160 ermittelten öffentlichen Bücherverbrennungen dem Feuer übergeben. Auf den sogenannten „Schwarzen Listen“ standen Autor:innen wie Erich Kästner, Anne Seghers, Stefan Zweig oder Jakob Roth.

Der Historiker Werner Treß unterscheidet drei Phasen der Bücherverbrennungen. In der ersten Phase, die von März bis April 1933 erfolgte, fanden überwiegend Bücher-, Zeitungs- und Fahnenverbrennungen statt. Die Verbrennungen sind „im Kontext des politischen Terrors und der Erstürmungen von sozialdemokratischen Partei- und Verlagshäusern durch die SA und SS einzuordnen“ (S. 19). Dabei handelte es sich um eher spontane Verbrennungen als Begleiterscheinungen der Besetzungsaktionen dieser Häuser. Die Bücherverbrennungen der zweiten Phase, im Mai 1933, fanden hingegen hauptsächlich im Rahmen der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ statt. Diese sind besonders durch die bekannten Film- und Tonaufnahmen vom Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, am 10. Mai 1933 in Erinnerung geblieben. Die dritte Phase umfasst den Zeitraum von Ende Mai bis November 1933. Im Gegensatz zu den eher spontanen Verbrennungen der ersten Phase liefen die der zweiten und dritten Phase nach einem klaren Muster ab: Ein Fackelzug zog zum Ort der Verbrennung, im Anschluss daran wurden vor den Feuern der Bücherverbrennungen Reden gehalten.

Das Projekt „Verbrannte Orte“ hat es sich zum Ziel gesetzt, diese vielen Orte der Bücherverbrennungen zu sammeln, fotografieren und katalogisieren, um so einen Beitrag zur Erinnerung an diese Verbrechen zu leisten. Während die ersten Anfänge des Projekts bereits 2012 zu finden sind, startete 2013 eine Crowdfunding-Kampagne, wodurch erste Fototouren und Vorträge finanziert werden konnten. Federführend für dieses Projekt, das 2023 nun auch in dieser Veröffentlichung mündete, ist der Fotograf Jan Schenck.

In Verbrannte Orte – Nationalsozialistische Bücherverbrennungen in Deutschland sind exemplarisch 60 Orte der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen abgebildet. Zu Beginn steht die Frage: „Betrachten wir Orte anders, wenn wir wissen, was dort geschehen ist?“. Die einzelnen Orte sind durch eine kleine Deutschlandkarte mit Markierungen auffindbar, daneben gibt es eine historische Einordnung und Beschreibung der Ereignisse. Teilweise sind diese mit zeitgenössischen Zeitungsberichten untermauert. Zudem ist erkenntlich, ob sich an dieser Stelle ein Gedenkort befindet, der an die Verbrennungen erinnert. Allerdings befindet sich jedoch nur an 13 der 60 ausgewählten Plätzen auch ein Gedenkort. Im Zentrum der jeweiligen Fotografien der Lokalitäten, die im Hochformat abgedruckt sind, steht jeweils eine weitere Fotografie des Ortes aus der Gegenwart. Angefangen in Dresden, über Bielefeld, Hann. Münden, Lübeck, bis nach Freiburg wird so ein Schnitt quer durch die Republik vollzogen.

Neben den Orten der Bücherverbrennungen finden auch einige Autor:innen verbrannter Werke ihren Platz in dem Buch. So werden etwa Alice Berend, Ernst Weiß oder Eva Leidmann portraitiert. Auch den Schriftsteller*innen und ihrem Wirken im Exil widmet sich ein Kapitel, bevor abschließend die heutige Relevanz und Aktualität der Bücherverbrennungen thematisiert wird.

Ergänzend zu den im Buch abgedruckten Orten entsteht auf der Internetseite www.verbrannte-orte.de ein Atlas, der versucht, alle Orte der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen auf einer Karte zu lokalisieren. Dort sind ebenfalls Hintergrundtexte und historische Materialien zu finden. Die Besucher:innen werden so zu einer digitalen Spurensuche eingeladen, die sie auch in der Realität fortführen können. Weitere Informationen gibt es zudem auf dem dazugehörigen Blog https://blog.verbrannte-orte.de.

Verbrannte Orte – Nationalsozialistische Bücherverbrennungen in Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag in diesem Kapitel der Erinnerungskultur und schafft es, dass auch weniger bekannte Orte der Bücherverbrennungen nicht in Vergessenheit geraten.

Von Tessa Schäfer

Verbrannte Orte – Nationalsozialistische Bücherverbrennungen in Deutschland – Jan Schenck (Hrsg.), Verbrannte Orte e.V.
Wien: Mandelbaumverlag, 2023
192 Seiten, 25 Euro
ISBN 978399136-005-6


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