am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Krimireihe zwischen Reichsparteitag und Nürnberger Prozeß Martin Weiß-Paschke

Krimireihe zwischen Reichsparteitag und Nürnberger Prozeß

Martin Weiß-Paschke hat das eigentlich naheliegende in Nürnberg getan: Er hat einen Lokalkrimi verknüpft mit der "Stadt der Reichsparteitage" und in einem weiteren Band seiner Krimiserie mit dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. In bisher drei Fällen lässt er seinen Kommissar Scheuerlein in Nürnberg ermitteln. Scheuerlein ist, wie fast alle Ermittler heutiger Krimis, die ihre Handlung in der NS-Zeit oder der ausgehenden Weimarer Republik ansiedeln, kein überzeugter Nationalsozialist, sondern ein kritischer Zeitgenosse, der auf der Karriereleiter stehen bleiben musste und einem Beförderungsstopp unterworfen ist. Das wird dem Leser gleich auf den ersten Seiten des ersten Bandes der Trilogie nachdrücklich erzählt. Noch scheuen, so scheint es, fast alle Krimiautoren davor zurück, nicht die Ausnahme, sondern die Regel darzustellen: Kommissare, die mit Überzeugung ihren Dienst tun, sich in Windeseile an die neuen Verhältnisse im NS-Regime angepasst haben, wenn sie dieses nicht gar mit Begeisterung begrüßt haben.

Scheuerleins Regimeskepsis macht es ihm nicht gerade einfacher, 1938 während des Reichsparteitages der NSDAP, als die "braunen Horden" zu Hunderttausenden die Stadt belagerten, einen Mordfall zu bearbeiten, in dem er die Geheime Staatspolizei gegen sich weiß und bei dem er bald schon Verbindungen bis in höchste Parteikreise aufdeckt. An einen erfolgreichen Abschluss des Falls, ohne dass es ihn den Kopf kosten würde, ist unter solchen Umständen kaum zu denken. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, nur der Hinweis, dass Weiß-Paschke leider manchmal der Versuchung nicht widerstehen kann und sich mancher Klischees bedient und bisweilen eine gewisse pädagogische Intention, die er als Lehrer erklärtermaßen auch mit den Büchern verfolgt, nicht verbergen kann.

Im zweiten Band seiner Krimireihe führt er den Leser in die Kriegsendphase, geprägt von schwindendem Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung, einer Radikalisierung nach innen, einem erbarmungslosen Luftkrieg sowie der Mobilisierung der letzten Reserven im sogenannten Volkssturm, zu dem auch Kommissar Scheuerlein eingezogen wird. Doch zunächst muss er sich darum kümmern, die Todesumstände der zahlreichen Bombentoten aufzuklären und bürokratisch zu erfassen. Bei dieser einigermaßen stupiden und sinnlos erscheinenden Arbeit stößt er zufällig auf Ungereimtheiten in einem Fall, die er, ganz gewissenhafter Kriminalist, nicht übergehen kann. Dabei kommt er Kreisen gefährlich nahe, die am alten System erheblich profitiert haben und alles daran setzen, sich und ihren Profit in die Zeit nach Hitler hinüberzuretten. Wie bereits im ersten Band und auch wie im dritten dient der Kriminalfall letztlich aber als eine Art Vorwand, vom Alltag zu erzählen, sei es in der NS-Diktatur oder im Nachkriegsdeutschland, wo der dritte Band angesiedelt ist, in dem Scheuerlein unter Aufsicht der amerikanischen Besatzungsmacht im Milieu unverbesserlicher Nazis ermittelt und sich damit in manche Lebensgefahr begibt.

Die Krimis um Kommissar Scheuerlein bieten ein zum Teil atmosphärisch dichtes Bild vom Nürnberg der Jahre 1938, 1944 und der Nachkriegszeit, in dem vor allem die Nürnberger viel Bekanntes, aber wohl auch viel Neues entdecken können. Doch nicht nur das heimische Publikum kann die Krimis mit Gewinn lesen. Weiß-Paschke liefert eine, manchmal etwas konstruierte, aber durchaus spannende Mischung aus Lokalem, Historischem und Kriminalistischem, in dem die "braune Vergangenheit" nicht die in Mode gekommene Funktion historischen Nervenkitzels erfüllt wie in zahlreichen anderen Krimis der letzten Jahre.

Von Markus Roth

 


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