am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Forschungsprojekt von Dr. Marcin Golaszewski

Ernst Wiechert und Gertrud von le Fort: Christen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus?

Die Einstellung zeitgenössischer Schriftsteller und Dichter zum Nationalsozialismus ist sowohl von der literaturwissenschaftlichen als auch historischen Forschung in den vergangenen Jahren lebhaft diskutiert worden. Denn trotz der repressiven Kulturpolitik des Dritten Reichs haben nach 1933 zahlreiche Autoren verschiedener geistiger Herkunft publiziert und dadurch versucht, ideele Alternativen zum herrschenden Regime zu formulieren oder gravierende Vorbehalte auszusprechen. Es waren darunter Schriftsteller und Dichter sozialistischer, liberaler, kommunistischer oder christlicher Provenienz, die ihren Idealen und Werten oder dem Glauben verhaftet blieben.

Innerhalb der Inneren Emigration spielte die christlich orientierte Literatur eine wesentliche Rolle. Denn die christliche Botschaft war noch eines der sicheren Bollwerke gegen die Versuchungen und Zumutungen der nazionalsozialistischen Diktatur. Die Bücher der Inneren Emigranten waren zwar keine direkten Aufrufe zum aktiven Handeln, aber sie konnten die Leser in ihrem Gewissen wachhalten und mithelfen, dass universelle Werte zwölf Jahre lang überstanden. Im Unterschied zur aufklärerisch-didaktischen Exil-Literartr wollten die Inneren Emigranten aus eigener gemeinsamen religiös-humanistischen Grundhaltung heraus viel mehr zum geistigen Überstehen des Regimes anleiten. Es ging ihnen, wie auch der katholischen Kirche (vgl. Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster) um moralische Stärkung ihrer Rezipienten, um die Ermutigung zur Selbstreflexion im totalitären Staat.

Das Ziel des Forschungvorhabens besteht darin, solche Fragen und Problemstellungen ausführlich zu diskutieren und an Hand der Analyse der Werke solcher Autoren, wie: Ernst Wiechert und Gertrud von le Fort, nicht nur die allgemeinen Beweggründe für ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufzuzeigen, sondern Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede bei der Argumentation und ihrer Schreibweise anschaulich zu machen.

Die Auswahl der beiden Autoren resultiert aus der Überzeugung, dass ihre Werke für die christlich orientierte Literatur überaus repräsentativ sind. Bei ihnen werden in erster Linie nichtfiktionale Gattungen der Analyse unterzogen oder solche, die einen direkt autobiographischen Bezug zum Autor aufweisen. Darunter befinden sich Reden, Vorträge und autobiographische Aufzeichnungen, die man auch als Literatur der Wahrheit bezeichnen könnte, durch die die Autoren das Zeugnis ihres Glaubens, bzw. ihrer Weltanschauung abgelegt haben. Denn wie Frank-Lothar Kroll schreibt, wurden Wort und Dichtung zur Zufluchtsstätte in schwerer Zeit.

Das Forschungsvorhaben hat einen interdisziplinären Charakter mit der Akzentsetzung auf eine kritische literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Texten der Schriftsteller und Dichter, die als christliche Vertreter der Inneren Emigration eingestuft werden können. Bei der Analyse müssen immer aber auch historische und theologische Bezüge mitberücksichtigt werden.

Im einleitenden Teil der Untersuchung wird die Definition der christlichen Dichtung ausformuliert. Denn die Schwierigkeiten beginnen bereits dabei, die gewählten Autoren und Dichter als christlich einzustufen. Das Problem besteht darin, dass gerade diese Autoren nicht (oder zumindest nicht nur) als christliche Dichter bezeichnet werden können. Der nächste Schritt würde sich auf das Problem des Widerstandes konzentrieren.

Das Forschungsvorhaben widmet sich den Autoren, deren Schaffen nicht zuletzt in Folge ihrer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft Gestalt gewann und die – jeder auf seine Art – nach 1933 bzw. nach 1945 entscheidend zur Bewältigung und Verarbeitung der ersten totalitären Erfahrung in Deutschland beitrugen.

Eine christliche Orientierung allein biete noch keine Abgrenzung vom Nationalsozialismus – dieser Satz soll zu einem der wichtigsten Überlegungspunkte des Forschungsvorhabens werden. Denn nur unter einer solchen Voraussetzung ist eine objektive Bewertung der Einstellung der christlichen Schriftsteller und Dichter zum Nationalsozialismus möglich.


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