am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Zeitungen 1945-48

Dieses Projekt, das von der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich finanziert und von Charlotte Kitzinger und Katja Zinn durchgeführt wurde, widmete sich der Aufklärungsarbeit über die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in den west- und ostdeutschen Zeitungen während der ersten Jahre nach Kriegsende. Ziel der Dokumentation war es, exemplarisch einen Überblick über die Berichterstattung der Nachkriegszeit in den verschiedenen Besatzungszonen zu geben, um zu zeigen, auf welch unterschiedliche Art und Weise die Bevölkerung über die Ereignisse informiert werden sollte, die wir heute als Holocaust bezeichnen. Inwiefern die unterschiedlichen politischen Ideologien der jeweiligen Besatzungsmacht auf die Darstellung und Wahl der Textsorte Einfluss ausübte, stellte einen weiteren Aspekt der Untersuchung dar, die v.a. auch als Vorstudie zu einem großangelegten Projekt zur Holocaust- und Lagerliteratur bis 1949 diente.

Die Bandbreite der Darstellungsverfahren in den ausgewählten Zeitungen ist groß: So finden sich neben Berichten, Reportagen mit Fotos und Essays auch Berichte von Überlebenden, Karikaturen und Gedichte. Leserbriefe lassen außerdem unterschiedliche Meinungen aus der Bevölkerung erkennbar werden.

Das Schicksal von Juden, Sinti und Roma sowie politischer Häftlinge in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft wird thematisiert, so wie es auch zu "Enthüllungen aus seiner Propagandafabrik" kommt – so der Untertitel einer Reportage, „Wie Goebbels das Volk belog“ (Sächsische Zeitung, Mittwoch, den 25. Juni 1945, S. 6). Immer wieder finden sich zum Beispiel in der Berichterstattung zu den Nürnberger Prozessen ausführliche Protokolle der Aussagen vor Gericht, die die Bevölkerung über die Ausmaße des Grauens informieren sollten. Daneben stehen aber auch suggestivere Formen der Thematisierung des Holocaust und seiner Folgen, wie folgende Leseprobe illustrieren soll:

Den Opfern

Zur Gedenkwoche der ehemaligen KZ-Häftlinge
von Gustav Paech

Millionen – Mann und Weib und Kind –
Millionen Brüder, seht, sie sind
entstiegen ihren Todesschächten
um klagend mit der Welt zu rechten,
um sühnefordernd zu verdammen
was ihre lichten Lebensflammen
so grausig-weh ersterben ließ.

Schweigen stehe um uns … Schweigen.
Laßt die Häupter still uns neigen.
Neig’ sich Mann und Weib und Kind,
denn du und ich wir alle sind
beruf’ne Zeugen ihrer Klage. –

Schweigen stehe um uns … Schweigen.
Seht: Millionen Brüder zeigen
schmerzverzehrt ihr Angesicht.
Ketten klirren … Und es bricht
weher Schrei an unser Ohr,
Todesschrei, wie nie zuvor
gellend ihn die Welt vernahm. –

Schweigen stehe um uns … Schweigen.
Belsen …! Auschwitz …! Todesreigen
hirnverbrannter Kreaturen!
Barbarei und Mord die Spuren,
die ihr Wahnsinn hinterließ …

Schweigen stehe ums uns … Schweigen.
Seht: Millionen Opfer steigen
in ihr Schattenreich zurück.
…………………………………………..
Hebt die Häupter. Brecht das Schweigen.
Zerstoben der Gespensterreigen:
feiger Henker und Despoten …
Dem Gedenken aller Toten
aber sei Mahnruf es und Kampfesschrei:
„Schmach und Tod der Tyrannei,
die all dieses Leid gebar!“

Hebt die Häupter. Brecht das Schweigen.
Laßt hinfort zu Grabe steigen
allen Bruderzwist und Streit.
Hebt die Herzen. Seid bereit!
Reicht, ihr Brüder aller Stände,
reicht, auf daß die Not sich wende,
reicht euch frei die Hand!

Hebt die Häupter. Brecht das Schweigen.
Laßt es aller Welt uns zeigen,
zeig’ es Mann und Weib und Kind,
daß wir guten Willens sind,
daß wir wahrhaft sind bereit,
einer neuen, bess’ren Zeit
– frei von Ketten, Schmach und Pein –
treulich uns’re Kraft zu weih’n.

aus: Neue Hamburger Presse, Mittwoch, den 21. Oktober 1945, S. 2.


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